Freitag, 10. November 2017

Suchet, so werdet ihr finden – drei Ratten finden zum BGE

„Sofort kommst Du hinter den Büchern hervor und aus dem Regal heraus! Aber fix!“, schimpfe ich. „Ich bin an zerbissenen und zerrissenen Büchern nicht interessiert.“ „Ja, gleich“, sagt Knut, „ich suche nur etwas.“ „Du hast da nichts zu suchen!“, setze ich meine Predigt fort. „Doch“, antwortet er, „ich suche die Essays von Ferdinand von Schirach.“ „Was willst Du denn damit?“, frage ich leicht misstrauisch, ohne dass irgendeine Reaktion seinerseits erfolgen würde, und locke ihn dann mit den Worten zu mir: „Komm aus dem Regal, dann gebe ich dir das Buch; ich weiß, wo es steht.“ Nun zwar seinerseits misstrauisch geworden schleicht er dennoch zögerlich hervor, ich ziehe das Gewünschte aus dem nebenstehenden Regal und lege es vor ihm ab. „Na bitte, geht doch“, säuselt er zufrieden vor sich hin und beginnt zu blättern. „Sei vorsichtig!“, ermahne ich ihn. „Jaha“, stöhnt er leise und verdreht dabei die Augen. Da ich nach der letzten Säuberung des Käfigs vergessen habe, das Gatter wieder zu schließen, was Hinz und Kunz jetzt bemerken, gesellen sie sich zu Knut. „Lesefutter?“, erkundigt sich Hinz. Knut nickt nur. Vorübergehend ist außer drei gemeinsam vor einem Buch hockenden Ratten nichts zu sehen, und außer gelegentlichem Rascheln von Buchseiten, die umgeblättert werden, nichts zu hören, was in irgendeiner Weise erwähnenswert wäre, und ich habe die drei zu meinen Füßen am Boden hockenden Tiere fast vergessen, als Kunz sich plötzlich an Knut wendet: „Wonach suchen wir eigentlich?“ Knut scheint nicht zu hören und Hinz vermutet: „Er hat heute Nacht auf der Zeitungsseite mit dem Bericht über Entlassungen im Braunkohletagebau gelegen. Bestimmt geht es ihm darum.“ „Genau“, knurrt Knut, „alle reden immer nur vom Umweltschutz und davon, der Erderwärmung Einhalt gebieten zu müssen. Das ist sicher sehr, sehr wichtig, aber...“, er hält kurz inne, bevor er nachdenklich fortfährt: „Wer schützt die Arbeiter, die ihre Arbeitsplätze verlieren, vor dem Jobcenter? Darf man das Leben der Arbeiter opfern, um das der Weltbevölkerung zu retten, mit der Begründung, dass die Arbeiter aus dem Braunkohletagebau der Weltbevölkerung zahlenmäßig unterlegen sind? Darf man Leben gegen Leben aufrechnen?“ Diese tonnenschweren Überlegungen in der Manier von Ferdinand von Schirach lasten schwer. Schweigen breitet sich aus und drei Ratten schauen erwartungsvoll in meine Richtung. Mir schwant, dass Knut aus der Lebenssituation der Arbeiter nicht ganz die richtigen Fragen abgeleitet hat, jedoch finde ich nicht sofort die passende Entgegnung. Hinz denkt schneller und spricht seine Gedanken augenblicklich aus: „Die Arbeiter sterben nicht an der ihnen drohenden Arbeitslosigkeit, jedoch gemeinsam mit allen anderen Bewohnern der Erde an deren Zerstörung.“ Wow! Kunz klatscht begeistert in seine Vorderpfötchen – allerdings nicht lange. Er runzelt die Stirn. „Muss man nicht für die Arbeiter trotzdem eine bessere Lösung finden?“, sinniert er laut. „Ja, klar!“, ruft Knut kurz darauf. „Und ich habe sie! Bedingungsloses Grundeinkommen für alle!“

Sonntag, 5. November 2017

Zeitung vom Vortag zum halben Preis

„Na, ihr drei“, sage ich, als ich nach Hause komme, stelle meinen Rucksack ab, schalte Licht ein, schaue in den Käfig und halte daraufhin einen Moment lang entsetzt inne. Dann beginne ich zu schimpfen: „Was habt ihr wieder veranstaltet? Wie sieht das bei Euch aus?!“ Kunz stoppt mich. „Wie soll es hier schon aussehen?“, fragt er schnippisch. „Na, ordentlich und sauber“, antworte ich, konstatiere jedoch, dass es das nicht tut. Unter durchnässten und zerfetzten Papierschnipseln lugt Hinz hervor und verlangt: „Reg dich nicht so auf!“ Ich folge seiner Aufforderung nicht und schreie: „Ich soll was?! Mich nicht aufregen?! Heute morgen erst habe ich euren Käfig mit frischem, sauberen Papier ausgelegt. War alles für die Katz'!“ „Nein“, kontert Knut gelassen, „für drei Ratten.“ „Jetzt kommst du mir auch noch frech!“, empöre ich mich. „Nein“, widerspricht er, „ich stelle nur richtig.“ „Lenk nicht vom Thema ab!“, mahne ich. „Ihr habt ein heilloses Papierchaos angerichtet!“ „Ohje“, stöhnen Hinz und Kunz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen, „jetzt öffne doch einfach den Käfig, wir schmeißen die Schnipsel alle raus und dann legst du uns neues Papier rein. Kann ja so schlimm nicht sein!“ „Doch, ist schlimm!“, beharre ich auf meiner Sicht der Dinge. „Papier ist knapp geworden. Früher wurden hier zweimal wöchentlich alle Briefkästen mit kostenloser Werbung überflutet. Jetzt kommt der Werbeheini noch ungefähr einmal im Monat.“ „Das ist umweltfreundlich“, klugscheißert Knut. Und Hinz und Kunz tönen erneut im Duo: „Wir wollen auch gar keine Werbung! Wir wollen Nachrichten! Papier voller gedruckter Neuigkeiten, die interessant und aufschlussreich sind. Zu englisch: newspaper!“ „Ihr wollt guten, alten Journalismus!“, entfährt es mir entsetzt. „Also bei euch piept es wohl! Den guten, alten gibt es kaum noch und der moderne ist unbezahlbar, zumindest der ausgedruckte.“ „Die ist geizig“, flüstert Hinz Kunz ins Ohr. „Haben wir nicht mehr genug Geld?“, erkundigt sich Knut erschrocken. „Doch“, beruhige ich ihn sofort. „Allerdings ist >>genug<< eine Formulierung mit großem Interpretationsspielraum. Noch können wir die Miete zahlen und am Verhungern sind wir definitiv nicht. Samstags kurz vor Ladenschluss gibt es bei Lidl immer preisreduziertes Obst und Gemüse. Beim Bäcker kostet Brot von gestern nur die Hälfte...“ In dem Moment, da ich diese Worte ausspreche, wird Knut von einer Idee ergriffen. Aufgeregt fiept er: „Frage doch am Kiosk, ob es Zeitung vom Vortag zum halben Preis gibt!“ „Die Idee ist utopisch“, seufze ich amüsiert und behalte für mich, dass mir selbst das noch zu teuer wäre.

Mittwoch, 2. August 2017

Nüsse im Käsemantel an Basilikum mit Joghurt

"Na, ihr drei", sage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben den Käfig stelle und eben diesen dann öffne, um die Tiere zu begrüßen, "ich soll euch etwas ausrichten." Sie hocken jedoch schmollend nebeneinander in der von mir weitestmöglich entfernten Käfigecke und schauen mich bitterböse an. Oh, wenn Blicke töten könnten! Nach einer gefühlten Ewigkeit des versuchten Mordens steckt Knut dann eines seiner Vorderpfötchen durch das Käfiggitter nach draußen und zeigt vorwurfsvoll auf den hinter ihm im Regal über meinem Bett stehenden Wecker. "Ja", seufze ich gespielt reumütig, "es ist etwas spät geworden." "Fast schon früh", nörgelt Kunz. "Es sind noch 1 ½ Stunden bis Mitternacht", rechtfertige ich mich. "Nicht noch, sondern nur noch", mault Hinz. "Meine Güte, nun regt euch mal nicht so auf", stöhne ich. "Ich habe mit Maja zusammen auf ihrem Balkon gesessen, gequatscht und gegessen. Das wird ja mal sein dürfen! Den Rest der Melone, die aufzuessen uns beim besten Willen nicht mehr möglich war, habe ich euch übrigens mitgebracht." "Das ist ja wohl das Mindeste!", meckert Hinz und weist mich an: "Schneide sie bitte in mäulchen- bzw. schnäuzchengerechte Stücke und gib sie uns!" Ich gehorche. "Da ihr die Melone nicht mehr geschafft habt, was gab es für euch denn sonst noch so?", erkundigt sich Kunz schnippisch. "Nussbrot mit Avocadocreme und Salat", antworte ich. "Nussbrot mit Avocadocreme und Salat?!", schreit Knut entsetzt. "Und wir bekommen wässrige Melone?!" Ich gehe auf seine Worte nicht näher ein, sondern wechsle das Gesprächsthema: "Übrigens haben wir uns über Vor- und Nachteile von Grundeinkommen unterhalten und Maja möchte gerne wissen, was ihr, wenn ihr eines hättet, damit tun würdet." "Soso, diese Frage also ist es, was du uns ausrichten sollst", konstatiert Hinz. "Gutes Essen kaufen natürlich", erklärt er sogleich, womit wir wieder beim Essen wären. "Habt ihr doch jetzt auch", entgegne ich. "Mehr gutes Essen kaufen", konkretisiert Kunz die Aussage seines Bruders. "Ihr seid doch aber schon...", beginne ich eine Erwiderung, aber Knut fällt mir erregt ins Wort mit: "Du sagst jetzt nicht fett!" Ich schweige betreten und frage erst einen Moment später vorsichtig: "Wovon würdet ihr denn mehr kaufen?" "Nüsse...Käse...Joghurt", piepsen sie freudig durcheinander. "Aha", resümiere ich, "hat Maja mit ihrer Vermutung also fast recht gehabt." "Was hat sie denn vermutet?", hakt Knut nach. "Nüsse im Käsemantel an Basilikum mit Joghurt", führe ich aus. Drei Ratten nicken andächtig.

Dienstag, 1. August 2017

Crowdhörnchen

"Na", frage ich, indem ich mich vom Computer ab- und den Tieren zuwende, als die drei hinter mir im Käfig zu lärmen beginnen und sehr offensichtlich meine Aufmerksamkeit wünschen, "was denkt ihr wohl, wie heiße ich?" Sie hören augenblicklich auf zu krakeelen und schauen mich ziemlich entgeistert an. Knut findet als erster die Sprache wieder und antwortet etwas schnippisch: "Miriam." "Okay, stimmt", entgegne ich, entkräfte die Aussage jedoch sogleich, indem ich hinzufüge: "Meine ich aber gerade nicht." "Wir sollen dir deinen Nachnamen...?", hebt Hinz zu sprechen an. "...Hartz magst du doch aber nicht", fällt Kunz ihm ins Wort. Daraufhin hüpft Hinz mit einem schnellen Sprung zu ihm hin, schiebt sein Mäulchen bzw. Schnäuzchen dicht an seines Bruders Ohr und flüstert grinsend etwas hinein. Kunz' Schnurrhaare beginnen zu vibrieren, er kann sich ein lautes Kichern kaum noch verkneifen und eine Sekunde später legen beide prustend los: "Heißest du vielleicht Kaspar, Melchior, Balzer, Rippenbiest, Hammelswade oder Schnürbein?" Kopfschüttelnd verneine ich und versichere lachend, nicht Rumpelstilzchen zu sein. "Du bist ein Mensch", konstatiert Knut nüchtern. Ich nicke nur stumm. "Du bist unsere Dropsgeberin", verkündet Hinz nicht ohne Hintersinn. Ich nicke wieder, gehe zu ihnen hinüber und gebe jedem einen calciumhaltigen Joghurt-Drops – laut Hersteller für Nager sehr gesund. Knut schnuppert an meiner Hand und lässt sich, nachdem er sich vergewissert hat, dass nicht die verhasste Transportbox bereit steht, das Ganze also kein mieser Trick von mir ist, sogar auf den Arm nehmen. Ich trage ihn zum Computer, von wo aus er nach einem raschen Blick auf die geöffnete Grundeinkommens-Seite seinen Kumpels zuruft: "Sie ist jetzt ein Krauthörnchen!" "Ein was?", entfährt es Hinz. "Käsecroissant wäre besser", kommentiert Kunz. "Willst du mich fressen?", zucke ich erschrocken zusammen. "Ach so, nee, dich nicht", säuselt er kleinlaut. "Knut, erklär mal, was das ist!", fordert Hinz. Knut fasst die Website zusammen: "Krauthörnchen werden Leute genannt, die je nach ihren finanziellen Möglichkeiten unterschiedlich hohe monatliche Beiträge zahlen, von denen dann, sobald genügend Geld zusammengekommen ist, ein Jahr lang einige Grundeinkommen finanziert werden. Wer eines bekommen will, muss sich darum bewerben, wer es dann tatsächlich bekommt, wird ausgelost. Krauthörnchen müssen sich nicht bewerben, die nehmen an den Verlosungen automatisch teil." "Das hast du gut erklärt", lobe ich ihn. "Und wenn du nun aber immer nur einzahlst, aber nie etwas bekommst...", jammert Kunz. "Dann", so räume ich ein, "haben wir halt Pech." "Ich will aber kein Pech! Ich will Käse!", schreit er. "Hey", ermahne ich ihn. "Sei still! Du bist kein quengelndes Kleinkind mehr. Du bist erwachsen." Er gehorcht. Ich setze Knut in den Käfig zurück und gehe in die Küche, um für uns alle Käse zu holen. "Du könntest dich auch nur jedesmal bewerben, ohne je einzuzahlen", wispert Hinz, als ich zurückkomme und ihm ein Käsestückchen zwischen die Zähnchen schiebe, an diesem vorbei. "Ja, sicher", pflichte ich ihm bei, gebe aber zu Bedenken, dass das Geld, das ausgezahlt werden soll, schließlich irgendwo herkommen muss. – Keinem der drei Tiere fällt ein Gegenargument ein.

Montag, 10. Juli 2017

Knut Fettfell

Ist er nicht süß fett?


Ja, er ist nicht fett.
Wohl genährt. Mit Halskrause.

5 Anmerkungen philosophischer Art:

Knut: "Ein dickes Fell ist dick, nicht fett."
Hinz: "Hätten wir nicht dicke Felle, müsstest du uns Pullover stricken. Und Hosen. Und Mützen."
Kunz: "Vor sozialer Kälte schützt Gestricktes nicht."
Knut: "Die Welt ist ohnehin schon viel zu verstrickt."
Hinz und Kunz (wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen): "Ja, Fallstricke über Fallstricke. Allüberall."

Mittwoch, 5. Juli 2017

Abendstille

„Du veröffentlichst schon seit längerer Zeit unsere Gespräche nicht mehr“, stellt Knut unvermittelt fest, als ich ihn während des abendlichen Putzens des Käfigs vorsichtig beiseite schiebe, um auch dort wischen, wedeln, wegräumen zu können, wo er gerade eben noch saß, und schließt die Frage an: „Warum eigentlich nicht?“ „Och“, antworte ich, „es ist mir einfach zu viel geworden. Die Menge an Text, die ihr produziert, kann kein Mensch aufschreiben.“ „Wir produzieren nicht schnöden Text, wir diskutieren unsere Meinungen zu existentiellen Themen“, protestiert Hinz, sich in das Gespräch mischend. Kunz indes schlägt pragmatisch vor: „Triff doch eine Auswahl und stelle nur das Wesentliche ins Blog.“ Knut und Hinz nicken zustimmend. Ich aber habe heute ein bisschen schlechte Laune und kontere: „Trefft doch selbst die Auswahl und sprecht das Unwesentliche gar nicht erst.“ Einen Augenblick lang sieht es dann so aus, als wollten alle drei gemeinsam einen Schrei des beleidigten Entsetzens ausstoßen, denn sie reißen gleichzeitig ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen weit auf. Jedoch ertönt nichts für Menschenohren Hörbares. Vielmehr verharren sie so, geben mit dieser Visualisierung der Sprache, die es ihnen verschlagen hat, ein sehr beeindruckendes Bild ab und Ruhe.