Samstag, 19. Juli 2014

Dosis sola venenum facit - Allein die Menge macht das Gift

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "wollt ihr wissen, was ich heute mitgebracht habe?" "Hoffentlich etwas Leckeres", sagt Dachs mürrisch und starrt in den leeren Fressnapf. Ich enttäusche ihn mit den Worten: "Nee, nur photographierte Werbung über vermeintlich Leckeres." "Zeig mal!", verlangt Max und ich zeige.

S-Bahnhof Berlin Bornholmer Straße, auf dem
Bahnsteig zu den Zügen in Richtung Süden

"Warum hast du denn den Quatsch photographiert? Was ist daran interessant?", empört er sich. "Der Dilettantismus", erkläre ich. "Viele Fragen wirft er auf." "Welche denn?", erkundigt sich Moritz und ich beginne: "Was soll ich aus dieser drolligen Kioskfensterbeschriftung schlussfolgern? Die hier angebotenen Bouletten und Bratwürste sind lecker, Wiener, Bockwürste und Schinkenknacker indes nicht? Heute sind alle Fleischwaren lecker, was man bezüglich der Bouletten und Bratwürste lediglich ausdrücklich dazu schreibt, weil dem sonst nicht so ist? Bouletten und Bratwürste sind per se unlecker, man bewirbt sie hier jedoch als lecker, damit irgendein Volltrottel sie dennoch kauft? In der Imbissbudenverordnung steht, Bouletten und Bratwürste dürfen maximal 1,30 € kosten, man will sie aber teurer verkaufen, also benennt man sie um in leckere Bouletten und leckere Bratwürste? ..." "Hör auf mit deinen Vermutungen!", fordert mich Rabatz auf. "Bring bitte morgen oder übermorgen, wenn du das nächste Mal an dem Kiosk vorbeikommst, einfach von jedem Fleisch eins mit. Wir beißen uns durch und sagen dir dann, was du gekauft hast." "Du spinnst wohl! 8,10 € für einen Fleischberg!", entfährt es mir entsetzt und leise füge ich - grinsend - hinzu: "Den Blick des Verkäufers möchte ich allerdings sehen, wenn ich ihm eine leckere Boulette, ein Paar Wiener, eine leckere Bratwurst, eine Bockwurst, eine Schinkenknacker aufzähle. Er dürfte es nicht gewohnt sein, dass Kunden ihren Wochenendeinkauf bei ihm erledigen." "Dann hätten diese Werbeheinis ja gewonnen! Genau das wollen die doch, dass man kauft", grummelt Ratz vor sich hin. "Ein Werbeheini war hier ganz sicher nicht am Werk, eher der Kioskbetreiber persönlich", gebe ich mit leicht ironischem Unterton zu bedenken. "Nun ja", seufzt Dachs, kommt jedoch nicht weiter, denn Rabatz fällt ihm ins Wort: "Man fragt sich in der Tat besorgt, was die schwarzen Trauerränder um die beworbenen Esswaren herum zu bedeuten haben. Irgendetwas stimmt nicht. Vielleicht sind giftige Geschmacksstoffe drin, die ekliges Essen lecker schmecken lassen." "Alles ist Gift, es kommt nur auf die Dosis an", berufe ich mich auf Paracelsus und schlage sogleich vor: "Wir sollten uns jetzt Essen, das gut tut und schmeckt, in einer Dosis zuführen, die sättigt, aber nicht tötet." Fünf Ratten lecken sich ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen und huschen an mir vorbei in die Küche.

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