Mittwoch, 31. Dezember 2014

Weg mit dem Altenteil

Ratz will nicht ins Altenteil abgeschoben bleiben. Ganz und gar nicht. Er will das so überhaupt nicht, dass es geradezu gefährlich wäre, ihn länger in dieser ausrangierten Gemüsekiste wohnen zu lassen. Er zieht sich nämlich mit aller Kraft seiner Vorderbeine an der Seitenwand hoch, scheitert aber, da er seine gelähmten Hinterbeine nicht in diese Turnübung einbeziehen kann, an der Überwindung des Hindernisses und fällt unsanft zu Boden. Immer und immer wieder. Iterum iterumque (= immer wieder) war einmal eine meiner Lieblingslateinvokabeln. Wohlklingend. Aber nun iterum iterumque einen altersschwachen Rattenbock stürzen sehen? Das liebe ich nicht. "Ratz, dir gefällt es nicht im Altenteil", vermute ich. Er nickt. "Willst du wieder zu den anderen?", frage ich. Er nickt. "Du bekommst dein Altenteil im Erdgeschoss des Rattenkäfigs", schlage ich vor. Er nickt. "100% seniorengerecht und ruhig wird das aber nicht", gebe ich zu bedenken. Er nickt. Ich hänge daraufhin ins Erdgeschoss des Käfigs eine separate Trinkflasche für Ratz, richte ihm dort einen Futterplatz ein und schiebe Material für den Nestbau unter einen umgekippten Pappkarton. Er zieht zufrieden ein. Und siehe da...Das ist mit (ungefähr) 95% deutlich seniorengerechter als die Gemüsekiste, zwar nicht ruhig, aber er ist nicht so einsam und seine Kumpels übernehmen augenblicklich seine Fellpflege überall dort, wo er selbst nicht mehr heranreicht. Und dass er die Treppen zu den höheren Etagen meiden sollte, sieht er recht bald ein.

Dienstag, 30. Dezember 2014

Briefporto

"Was liest du?", ruft Dachs mir vom offenen Käfig aus zu, wartet allerdings meine Antwort nicht ab, sondern nutzt die 3 Meter Entfernung zwischen sich und mir als Anlauf, springt dann genau zwischen mich und den Laptop auf den Schreibtisch und informiert sich selbst. Still wird's. Dachs liest und liest, wird zunehmend nachdenklicher, als er den Artikel* zu Ende gelesen hat, dreht er sich zu mir um und fragt: "Weiß Ratz das schon?" "Genau diesen Artikel* kennt Ratz vermutlich nicht, aber ich nehme an, er weiß das", antworte ich und ermuntere ihn, Ratz im Altenteil doch einfach zu besuchen und sich mit ihm darüber zu unterhalten. (Mein Hintergedanke: Ratz soll nicht vereinsamen.) Dachs springt ins Altenteil unter die umgekippte Pappschachtel, wo Ratz hockt, und ich höre es von dort wispern. Satzfetzen wie "...Bundesrepublik kein souveräner Staat...keine handlungsfähige Regierung...Gesetze des Kaiserreiches noch gültig...also auch das Briefporto von vor 140 Jahren...3 bis 4 Cent pro Brief" dringen an meine Ohren. Dann robbt Ratz unter der Schachtel hervor und beginnt, empört zu predigen: "Also dass die BRD mit ihrer Gründung zwar rechtsfähig wurde, nicht jedoch die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches angetreten hat, vielmehr - wenngleich auf kleinerem Territorium - lediglich von den westlichen Siegermächten besetzt war und auch nach der späteren Hinzufügung der DDR und dann dem Abzug aller Alliierten die Souveränität formal-juristisch nicht 100%ig korrekt hergestellt worden ist, stimmt wohl, aber sich deswegen auf Gesetze von 1875 zu berufen, sobald es persönlich materiell nutzt...Also ich halte das für verkehrt. Entweder nach allen Gesetzen bzw. Verordnungen von damals leben oder gar keinen...De facto existiert die BRD..." Er will sich so richtig in Rage reden, aber ich stoppe ihn, indem ich ihm ins Wort falle: "Du hast vollkommen recht, Ratz. Und irgendwie hoffe ich ja, dass das nicht funktioniert. Wir bekommen schließlich auch unser Brot nicht zu Preisen von anno dazumal und erfreulicherweise berechnet mein Arbeitgeber mein Gehalt nicht auf Basis reichsüblicher Löhne." Dachs nickt nachdenklich, hebt dann belehrend eines seiner Vorderpfötchen und merkt an: "Den damaligen Militarismus stelle ich mir unter unserer heutigen Verteidigungsministerin** lieber nicht vor." Erheiterung und Zustimmung seitens aller am Gespräch Beteiligten. Ich hole Ratz aus seiner zum Altenteil umfunktionierten Kiste und nehme ihn auf den Schoß, damit er den Artikel*, über den wir gerade sprechen, überhaupt erst einmal lesen kann. Er überfliegt ihn rasch. "Willst du ausprobieren, ob das funktioniert? Briefe einfach so adressieren, wie das im Kaiserreich üblich war, und nach damaliger Gebührenordnung frankieren?", erkundigt er sich. "Ja", sage ich, "Neujahrsgrüße werde ich in derart antiquiert beschrifteten Briefumschlägen, auf die ich jeweils 4-Cent-Marken klebe, verschicken. Wie muss man das doch gleich machen?" Während ich nachlese, murmele ich vor mich hin: "Die Postleitzahl in eckige Klammern, neben das Adressfeld auf englisch den Vermerk >>nicht innerstaatlich BRD<< und unter die Briefmarken das Versanddatum und meine Unterschrift. Man kann auch noch die damalige Provinz hinzufügen." Ratz schüttelt missbilligend den Kopf. "Für den Fall, dass die Briefe tatsächlich ankommen", warnt er mich, "musst du aber die Adressaten vorab informieren. Die fürchten sonst, du hast das politische Lager gewechselt und willst das Deutsche Kaiserreich zurück." "Mache ich", versichere ich. "Was machst du?", melden sich Rabatz, Max und Moritz aus der anderen Ecke des Zimmers, wo sie bis eben geschlafen haben. "Ach nö", stöhnt Ratz, "jetzt müssen wir das alles noch einmal von vorne erzählen!" Dachs indes legt ihm besänftigend eines seiner Vorderpfötchen auf den Kopf und verspricht: "Lass nur! Ich übernehme das." Er läuft zu seinen Brüdern und seinem Vater und erklärt schnell und verständlich, allerdings nicht ohne mimisch und gestisch seine persönliche Meinung einfließen zu lassen. Er runzelt nämlich abwechselnd die Stirn, schlägt sich mit den Pfötchen dagegen und verdreht die Augen. Seine Zuhörer lauschen schweigend. Erst als er endet, piepst Moritz: "Wie rechnet man eigentlich damalige Pfennige in heutige Euro-Cents um?" "Das geht wahrscheinlich eigentlich gar nicht", vermutet Max. Ich fühle zehn Rattenaugen von fünf Ratten auf mich gerichtet. Oje! Um die Beantwortung dieser Frage sehr weit ins nächste Jahr zu schieben, tue ich weiter nichts, als in die Küche zu gehen und geräuschvoll Käse auszuwickeln. Es dauert nicht lange und fünf Ratten wuseln mir um die Füße. Sie schauen mich nach wie vor unverwandt an, aber es geht um keinen Umrechnungsfaktor mehr.

http://www.noz.de/lokales/meppen/artikel/477494/briefe-fur-vier-cent-in-meppen-zugestellt#gallery&0&0&477494

** Ursula von der Leyen

Samstag, 27. Dezember 2014

Alter Ratz

"Na", frage ich Ratz, der sich kläglich fiepend in die Microfasern meines Pullovers kuschelt, "ist nichts, wenn man alt wird?" Er schweigt zunächst und schmiegt sich noch intensiver an. Dann seufzt er: "Was heißt hier Werden? Sein!" "Nun ja", stimme ich ihm zu, "du bist nicht mehr der Jüngste." Ratz erwidert: "Ich habe mein Mindesthaltbarkeitsdatum deutlich überschritten."


"Hm", sage ich, "so kannst du das natürlich auch formulieren" und streichle ihm das Nackenfell. Er knirscht mit den Zähnen, was auf Menschen-Deutsch eigentlich heißt: "Mir geht es gut."

Dienstag, 23. Dezember 2014

Hauptsache grau

"Jede Farbe ist mir recht, Hauptsache sie ist grau", soll Bertolt Brecht - bezogen auf Bühnenbilder - einst gesagt haben.

 "Jede Wohnung ist uns recht, Hauptsache sie ist gemütlich", sagen meine beiden Grauen - bezogen auf ihre Kulisse - wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen.

Rabatz und Moritz

Bereitwillig präzisieren sie ihre Aussage mit den Worten: "Nichts geht über eine umgestülpte olle Mandarinenkiste, der als Ein- und Ausgang bzw. Guckloch ein Stück Seitenwand fehlt."

Sonntag, 21. Dezember 2014

4. Advent

Ratz, der bekanntlich meist grummelig bis griesgrämig, zuweilen grantig auftritt, so grrr halt, gerne alles in Frage stellt und altklug provoziert, kann durchaus auch freudig-optimistisch sein. Wenn er so auf dem Küchentisch liegt und an einem aus Kuchenteigresten gebackenen Riesen-Weihnachts-Keks knabbert, erweckt er jedenfalls diesen Eindruck. Seine gelähmten Beine hinten hindern ihn mitnichten daran, vorne zu genießen.


Nur einmal hebt er kurz den Kopf und fragt: "Was machst denn du da?" "Ich fertige Weihnachtsdeko", antworte ich und füge, da sich eine Falte auf die Stirn seines ansonsten doch so zufriedenen Gesichts zu legen beginnt, sogleich hinzu: "Für euch. Ein Rentierschlitten aus Schokolade."


"Ist doch keine Deko", belehrt er mich, sobald ich das Werk vollendet habe. "Schokolade ist Futter." "Nee", korrigiere ich ihn, "zu futtern gibt es für euch an den Feiertagen diese Getreideähren dort" und zeige in die Ecke der Küche, in der die liegen.


Er wirkt wenig begeistert, daher erwähne ich als zusätzliches Detail: "Aus ökologischem Landbau." "Aha", grummelt er und widmet seine Aufmerksamkeit wieder dem Riesen-Weihnachts-Keks, bricht ein hand- bzw. vorderpfötliches Stück von ihm ab und lässt es sich schmecken.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Apfelmahlzeit im Altenteil

Umgestülpte Pappkartons mit seitlichen Öffnungen in oben offener und unten mit Zeitung ausgelegter Gemüsekiste, ebenerdig und keine Stufen, gehbehindertengerecht.


Da Ratz nun in dieses Alteinteil gezogen ist, erkundige ich mich, wie er da so liegt, ob es ihm - zumindest den Umständen entsprechend - gut geht und er schaut mich sehnsuchtsvoll an. Also nehme ich ihn auf den Arm. Daraufhin zappelt und zerrt er auf eine Art und Weise an mir herum, dass ich zu der Annahme gelange, er möchte nach unten, und setze ihn vor meinen Füßen ab. Augenblicklich beginnt er, am Käfig der anderen vorbei in Richtung Küche über den Fußboden zu robben: Die Hinterbeine kann er nicht mehr benutzen, die Teppichschlingen bieten den Krallen seiner Vorderpfötchen Halt. In der Küche setzt er sich erschöpft vor den Korb mit den Äpfeln und wartet geduldig. Früher wäre er hineingeklettert; das schafft er nicht mehr. "Hey, Ratz", frage ich, "du möchtest Apfel?" Er fiept. Ich bringe einen Apfel ins Altenteil.


Er robbt hinter mir her, nimmt vor seinem neuen Zuhause Platz und schaut mich erwartungsvoll an. Was bleibt mir anderes übrig, als ihn in die Kiste zum Apfel zu heben? Es folgen erst Gepolter - verursacht durch einen in der Kiste hin und her rollenden Apfel - und dann, nachdem der erste Biss gelungen ist, genüssliches Schmatzen.

Sonntag, 14. Dezember 2014

Wissensdurst und Lesehunger

"Na, Ratz", erkundige ich mich, "willst du Bildungsurlaub machen? Bist aus dem Käfig gekrochen und suchst Lektüre?" "Na klar", antwortet er. "Ich bin genauso interessiert und wissensdurstig wie immer schon. Nur schaffe ich es auf meine alten Tage leider nicht aus dieser Kiste heraus, in die ich versehentlich geplumpst bin. Die Hinterpfötchen gehorchen mir nicht mehr." Er seufzt.


"Du bist versehentlich in diesen Pappkarton geplumpst?", vergewissere ich mich. "Spannend! Wie hast du das bewerkstelligt?" "Na, wie schon?!", nörgelt er sichtlich genervt. "Du stellst Fragen! Hineingeplumpst halt." "Sei doch nicht so gereizt, alter Ratz!", ermuntere ich ihn. "Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Schließlich ist Plumpsen eine grobmotorisch ungeschickte Art zu fallen und Fallen wiederum verläuft gewöhnlich von oben nach unten. Von wo aus also bist du in diesen Pappkarton, der reichlich entfernt von anderem Mobiliar auf dem Tisch steht, gefallen? Von der Deckenlampe?" Ratz verdreht die Augen. "Ehrlich gesagt", stöhnt er, "bin ich auf meine alten Tage schon etwas vergesslich und erinnere mich nicht. Ist es für dich sehr wichtig, jedes Detail zu kennen?" "Nö, jedes nicht", räume ich ein und biete an, ihm aus der Kiste zu helfen, damit er an seine Lektüre gelangt. "Das ist natürlich ein nicht zu verachtendes Angebot deinerseits", bedankt er sich brav, präzisiert jedoch sogleich: "Noch lieber wäre es mir allerdings, die Lektüre gelangte zu mir." "Aha", lautet meine Reaktion. "Was soll ich dir denn geben?" "Na, diesen Artikel über Klassenkampf. Äh, nee, Kassenkampf, ohne L", bittet er. "Einen Artikel über Kassenkampf?", wiederhole ich erstaunt seine Worte. "Ja, ja, den im brandeins-Heft zum Thema Geld", bestätigt er aufgeregt und zeigt auf einen Stapel Zeitschriften und sonstige Druckerzeugnisse auf meinem Bett. "Darin steht etwas über Kassenkampf?", überprüfe ich nochmals, ob ich richtig gehört habe, woraufhin er mit den Worten "Ja, ja, über die Kommune Niederkaufungen" zunehmend energisch wird. Ratz weiß Bescheid. Ich greife also nach der Zeitschrift, beginne erst in ihr zu blättern und dann zu lesen. "Ist ja interessant", flüstere ich vor mich hin. "Hey, ich will das lesen!", schimpft er. "Meckern kannst du auf deine alten Tage noch recht gut", stelle ich zynisch fest. "Jetzt lese ich." "Nein, ich!", fordert er. "Nein, ich!", hört er von mir... Das geht noch eine Weile so hin und her. "Na gut", gebe ich endlich nach und schiebe ihm den aufgeschlagenen Artikel in die Vorderpfötchen, somit vor die Nase und - erst das ist dann zielführend - unter die Augen.

Freitag, 12. Dezember 2014

Das wilde, abenteuerliche Leben

"Hey, sag mal, warum beißt du mich?", frage ich vorwurfsvoll Dachs, der übermütig zwischen meinen Füßen hin- und herspringt und an meinen Beinen hoch und runter klettert, nachdem er zuvor im Papierkorb herumgetollt, gut 1/3 dessen Inhalts herausgeschmissen und mich dann in den Zeh gebissen hat. Er nimmt meine Frage deutlich wörtlicher, als ich sie gemeint habe, indem er sie beantwortet: "Wenn das wilde, abenteuerliche Leben vorbeikommt, soll man es mit beiden Pfoten packen, ganz fest an sich drücken und beißen." "Hä?", rufe ich aus. "Ich bin ja wohl kaum wildes, abenteuerliches Leben! Und außerdem... Wie kommst du darauf, dass man abenteuerliche Wildnis packen, drücken und beißen soll?" Dachs reagiert mit einer Gegenfrage: "Warst du in Amerika?" "Hm... ähm... nun... ja", gebe ich zögerlich Auskunft, da mir nicht sogleich klar ist, worauf er hinaus will. "Also bist du eine wilde Abenteurerin", kontert er. "Okay, insofern hast du natürlich recht", stimme ich ihm - nunmehr verstehend - grinsend zu, lasse aber nicht locker und erkundige mich, was es mit dem Packen, Drücken und Beißen auf sich hat. Er hüpft daraufhin erneut in den Papierkorb, zerrt einen Zeitungsausschnitt heraus, wirft ihn mir hin und seufzt: "Das mit dem Packen und Drücken klappt nicht so recht; meine Arme, äh, Vorderbeine sind zu kurz."


Erheitert lese ich, nehme Dachs dann auf den Arm, streichle ihn und erkläre: "Ich glaube, du übertreibst es ein wenig." Ich gebe ihm einen Kuss auf die Nase und setze ihn zu den anderen in den Käfig mit den Worten: "Schau mal, wie tiefenentspannt deine beiden Brüder Max und Moritz sowie dein Vater Rabatz gerade schlafen bzw. dösen."

Max
Moritz und Rabatz

Montag, 8. Dezember 2014

Die spinnen, die Amerikaner!

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Koffer durch die Tür ziehe und zu ihnen in den Käfig winke, "wollt ihr wissen, wo ich war?" Keine Antwort, jedenfalls keine in Worten. Stattdessen anklagende Blicke. "Ja, ich weiß. Ich bin einfach abgehauen, ohne euch meine Reiseabsicht vorab mitzuteilen oder gar euer Einverständnis einzuholen", räume ich nach einigen Minuten kollektiven mürrischen Schweigens ein. "Aber", füge ich kurz darauf hinzu, "meine allerliebste einzige Lieblingstochter war doch täglich hier, um euch zu unterhalten, euren Käfig auszumisten und Speisen zu reichen." Fünf Mal Lächeln huscht über die fünf Mäulchen bzw. Schnäuzchen, bevor die Tiere wieder finstere Mienen aufsetzen. "Na gut", sage ich, "dann gehe ich eben erst einmal schlafen, bevor ich euch erzähle, dass ich in Amerika war." "Amerika?", piepst Dachs. Max, Moritz und Rabatz spitzen die Ohren. Ratz grummelt: "Du spinnst." "Nee", erwidere ich, "um es vorsichtig auszudrücken... die Amerikaner spinnen" und lasse mich nach knapp 8 Stunden Nachtflug in mein Bett fallen.

Sonntag, 16. November 2014

Wider den Hunger

Erfreut, mit dem Putzen des Käfigs fertig zu sein, lasse ich mich in meinen Sessel fallen, um von dort aus mit einem Buch vor der Nase entspannt die Rückkehr der fünf Tiere abzuwarten, als ich es aus der Küche poltern höre. Ich lege das Buch aus der Hand, gehe nach nebenan und sehe Ratz, der mit einem Apfel im Mäulchen bzw. Schnäuzchen über den Boden schlurft. "Hey Ratz", rufe ich erstaunt aus, "du schaffst einen ganzen Apfel?!" Er lässt ihn vor Schreck fallen und wispert: "Tschuldigung." "Da gibt es nichts zu entschuldigen", erwidere ich. "Ich freue mich, wenn du dich gesund ernährst." Und besorgt schiebe ich die Frage hinterher: "Ist der Apfel nicht zu schwer?" "Fast", antwortet er, hebt das Obst wieder auf und setzt seinen Weg ächzend fort. "Also", sage ich, "wenn du mir versprichst, dass du die anderen vier auch mal abbeißen lässt, trage ich den Apfel und dich in den Käfig." Er nickt. Kaum habe ich ihn dann mit Apfel behutsam im Käfig abgesetzt, raschelt es unter meinem Bett. Ich schaue nach und sehe, wie Dachs, Max und Moritz eifrig bemüht sind, eine Tafel Schokolade auszupacken. Ich räuspere mich und sie erschrecken, weichen aber nicht von der Stelle, sondern gehen in Verteidigungsposition. "Also", spreche ich streng, "wenn ihr mir versprecht, dass ihr Ratz und Rabatz etwas abgebt, dann dürft ihr ein Drittel von der Tafel behalten und ich schimpfe nicht." Sie werfen sich gegenseitig zustimmende Blicke zu, nicken dann in meine Richtung und Max haut mit einem seiner Vorderpfötchen gegen die Schokolade, so dass sie über den Boden bis zu mir gleitet. Während die drei Schokoladendiebe zu Ratz und seinem Apfel in den Käfig springen und ich noch mit dem Dritteln der Schokolade beschäftigt bin, beginnt der hinter mir abgestellte Staubsauger zu wackeln und Rabatz kommt unter ihm zum Vorschein. "Ich habe eine Nuss gefunden", gesteht er. "Die ist aber zu klein, um sie mit den anderen zu teilen." "Sicher?", hake ich nach. Er nickt. Also scheuche ich ihn mitsamt seiner Nuss zu den anderen, gebe jedem Tier ein Fünftel des Schokoladendrittels, werfe noch vier Nüsse hinterher, auf dass es gerecht zugehe im Rattenkäfig, und bin sicher, für heute haben sie genug zu essen.

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Ratte mit Küchenabfall

Ratz mit Rinde von Räucherkäse

O-Ton Ratz: "Dass Frauchen die Rinde vom Käse schneidet, bevor sie ihn isst, soll mir recht sein. Sehr tierlieb vor allem, dass sie die 'rumliegen lässt."

Urlaubsankündigung

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "soll ich Euch mal was verraten?" "Na klar!", rufen sie kollektiv wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. "Bald geht es auf Reisen", sage ich. "Auf Reisen?", vergewissert sich Moritz. Ich nicke. "Warum denn?", erkundigt sich Max. "Wohin denn?", will Dachs wissen. "Die Frage nach dem Warum ist schnell beantwortet", erkläre ich. "Erholung, Luft- und Ortsveränderung. Kommen wir zu dem Wohin: Ihr zu Dumbi, Pandi und Paula bei der lieben Maja und ich zu meinem allerliebsten einzigen Lieblingssohn in's Brandenburgische auf's Dorf." Rabatz zuckt erschrocken zusammen: "Häh? Wir verreisen nicht gemeinsam?" "Nein", antworte ich, "wo ich hinfahre, ist es zu kalt und zu gefährlich für Euch. Einen Rattenkäfig gibt es dort nicht. Ihr müsstet entweder 7 bis 8 Tage in der Transportbox hocken oder aber im Wald und auf der Wiese zwischen Hühnern, Enten, Schafen, Ziegen, Pferden, dem altersschwachen und tauben Hund sowie der neurotischen Katze, die knackende Geräusche in ihrer Kehle erzeugt, anstatt zu miauen, und dazu feindselig dreinblickt, herumlaufen. Nicht zu vergessen die wilden Tiere, z.B. der Fuchs! Womöglich würde er Euch etwas antun! Oder ihr würdet Euch verlaufen!" "Um Himmels Willen!", schreit Ratz und fügt sogleich mit leiser Stimme hinzu: "Ich möchte zu Maja in den Käfig. Abenteuer sind nichts mehr für mich." "Du willst uns loswerden?", bringt Rabatz sein Misstrauen zum Ausdruck, wird dann jedoch sentimental, indem er schnieft: "Aber zu meiner lieben Frau und meiner einzigen Tochter möchte ich natürlich." Moritz seufzt voller Sehnsucht: "Ich will zu Mama." Max jammert: "Ich auch. Und zu Pandi, unserer Schwester." "Ich auch", pflichtet Dachs seinen beiden Brüdern bei. Der Käfig bebt vor Aufregung. Ratz kommt zu mir und grummelt leise, aber doch hörbar: "Soso, von der Stadt in's Dorf reist Du also und zu Tieren, von denen ein nicht geringer Prozentteil alt und krank bzw. behindert und verrückt ist. Luft- und Ortsveränderung, schön und gut, aber was ist mit Erholung von der Arbeit? Milieuveränderung bietet Dein Urlaubsort Dir nicht." "Stimmt", gebe ich ihm recht. "Kann er auch nicht. Orte ohne Alte, Kranke, Behinderte und Verrückte gibt es nämlich nicht, bestenfalls solche, an denen die sich versteckt halten." Ratz schlurft bedächtig bis an die Tischkante, landet nach einem gewagten Sprung auf meinem Bett und verschwindet augenblicklich unter der Decke. "Warum versteckst Du Dich?", necke ich ihn. "Damit niemand Deine Hinterhandlähmung bemerkt?" "Nein", widerspricht er, "es darf jeder wissen, dass ich alt und gebrechlich bin, aber in Deinem Bett ist es kuschlig und warm."

Sonntag, 14. September 2014

Wohlstand

Nach etlichem Suchen
fand ich diese sehr, sehr satte
hellgraue Ratte
neben dem Quark vor Körnern und Kuchen.
Moritz

Montag, 8. September 2014

Frau Holz Possling

Mit dem schönen Wetter gehe es nun zu Ende. Ab morgen sorgten Tiefausläufer von Norden und Süden für deutliche Abkühlung und Regenschauer, lediglich in der Mitte Deutschlands könne sich der Altweibersommer noch einen Tag halten, verkündet im Anschluss an die heute-Nachrichten die blonde Dame in - passend zur Dramatik - schwarzer Kleidung. Es folgen erst ein Schnitt und gleich darauf eine Männerstimme mit der Ansage: "Das Wetter wurde Ihnen präsentiert von Holz Possling". Ich grinse. Ein Blick in den geöffneten Rattenkäfig, in dem die fünf Tiere am Ausgang hocken und sich nicht so recht zu einem Spaziergang entschließen können, offenbart, dass zumindest die drei Jugendlichen im Unterschied zu mir eher verwundert als erheitert sind. "Wie heißt die Wetter-Sprecherin?", fragt Moritz. "Holz ist ein weiblicher Vorname?" Aus meinem Grinsen wird lautes Lachen, das die genervt gegrummelte Erläuterung vom altersweisen Ratz zwar übertönt, aber wir anderen verstehen ihn trotzdem; schließlich kennt man sich schon lange. (Die Worte Sponsoring und Werbung kommen in seiner Ausführung mehrfach vor.)

Sonntag, 31. August 2014

Wieder zu Hause

Als ich vom Wochenendausflug auf's so genannte Land, also auf's Dorf (Städte sind irgendwie auch Land), heimkehre, meinen mit Äpfeln, diversen Kräutern, Im-Zelt-Übernachtungsutensilien... gefüllten XXL-Rucksack auf den Tisch wuchte, die regenwiesen-wasserdurchtränkten Socken und Schuhe von den Füßen zerre - meine allerliebste einzige Lieblingstochter, die nach der Zugfahrt lieber barfuß nach Hause gelaufen ist, als dass sie sich die tropfende Fußbekleidung wieder angezogen hätte, kann es bezeugen - und einen Blick in den Käfig wage, um zu schauen, ob alle Tiere noch am Leben sind, tun sie genau dies und wirken recht entspannt. Ihrer angestauten Empörung über das gestrige Ausbleiben der Fütterung machen sie erst Luft, nachdem meine allerliebste einzige Lieblingstochter mit ihrem Anteil an Äpfeln und Kräutern längst zu sich in die Wohnung gegangen ist. Wahrscheinlich schimpfen sie nicht vor Zeugin, d.h., eigentlich schimpfen sie überhaupt nicht. Sie schauen mich, während ich den Käfig putze, traurig-vorwurfsvoll an und Moritz piepst missmutig: "Wo warst du letzte Nacht?" Ich wundere mich, dass er lediglich zu der Nacht etwas wissen will, aber antworte präzise die Fragestellung beachtend: "In einem mobilen Fahrrad- und Gerätehäuschen." Aus fünf Rattenaugenpaaren sind zehn ziemlich verblüffte Rattenaugenblicke auf mich gerichtet. Um mich vor der zu erwartenden Flut von Folgefragen zu schützen, werde ich präventiv tätig und erkläre: "Ich war auf dem Dorf bei meinem allerliebsten einzigen Lieblingssohn. Ich habe ihm einen kleinen transportablen Fahrrad- und Geräteschuppen, also eigentlich ein Schüppchen, mitgebracht, das einem Zelt vergleichbar ist und ähnlich unkompliziert auf- und abgebaut werden kann. In dem habe ich dann vor seiner Überlassung als Geräteschüppchen übernachtet." Die Verblüffung der Tiere geht in spürbare Skepsis über. "Ihr glaubt mir nicht?", erkundige ich mich. Fünf Ratten nicken zustimmend, bis ich ihnen das Beweisphoto zeige.

Mobiles Schüppchen. Der Vorteil, wenn man es als Zelt nutzt:
Man kann darin körpergrößenabhängig (evtl. geduckt) stehen.

"Und uns hast du vergessen", schmollt Ratz. "Nein", widerspreche ich, "habe ich nicht. Ich mache gerade bei euch sauber und anschließend bekommt ihr Apfel - unmanipuliert, regional, saisonal und extra für euch aus Wildau-Wentdorf hierher geschleppt." "Warum erst anschließend?", quängeln Max und Dachs wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. "Weil ihr Grundsatz lautet: Immer zuerst das, was keinen Spaß macht, und dann die Belohnung", kommt Rabatz mir zuvor. Alsogleich helfen mir Max, Dachs und Moritz, indem sie durchnässtes, zernagtes Zeitungspapier eifrig aus dem Käfig wuscheln. Ratz und Rabatz indes wollen nicht im Wege liegen und ziehen sich ins UFO zurück.

Samstag, 9. August 2014

Kein Gram, weder mit noch ohne Gries

"Warum guckst denn du so griesgrämig?", fragt mich Ratz, als ich - soeben nach Hause gekommen - erst den Käfig und dann meinen Rucksack öffne, aus dem ich käuflich erworbenes Non-Food ziehe und begutachte. "Ich gucke nicht griesgrämig", sage ich. "Doch", behauptet er. "Nein", erwidere ich. "Doch", beharrt er auf seiner Sichtweise. "Nein", beteuere ich. "Na, wie guckst du denn wohl, wenn nicht griesgrämig?", provoziert er weiter. "Keine Ahnung", äußere ich gereizt. "Wie soll ich das wissen? Ich betrachte doch gerade dieses Hemd, das ich mir heute gekauft habe, und nicht mein Spiegelbild." "Du widersprichst dir", merkt er an. "Gerade eben hast du noch behauptet, nicht griesgrämig zu gucken, und nun sagst du, nicht wissen zu können, wie du guckst." "Du nervst", weise ich ihn zurecht. "Wenn du damit nicht sofort aufhörst, werde ich vermutlich griesgrämig und gucke dann auch entsprechend." "Du willst mir drohen?!", erbost er sich. "Ich will nicht, aber...", hebe ich an, komme jedoch nicht weiter, denn Dachs fällt mir ins Wort. "Man soll nie gegen den eigenen Willen handeln", klugscheißert er. Ich spüre in mir so etwas wie Gram, also Verärgerung aufkommen; ob Gries mit am Werke ist, weiß ich kaum. Allerdings unterdrücke ich das Gefühl und liebsäusele, so gut mir diese Verstellung gelingt: "Für den Fall, dass mein Gesichtsausdruck meiner momentanen geistigen Verfassung entspricht, gucke ich ungläubig." "Ungläubig?", mischt sich Moritz ins Gespräch. "Wie das? Du glaubst nicht an das Hemd, das du heute gekauft hast und gerade betrachtest?" "Hemden haben nichts mit Glaube zu tun", knurre ich und kann meine Verstellung nicht mehr gut aufrecht halten. Die Vergrämung, so es dieses Wort gibt, gewinnt die Oberhand. Rabatz rettet mich, indem er vom Thema ablenkt: "Mal etwas ganz anderes: Wieso kaufst du dir eigentlich immer Hemden und nie Blusen?" Damit spricht er eine meiner Schwächen an, wenngleich keine, die mir schlechtes Gewissen bereitet, denn ich schade damit niemandem. Dennoch rumort es kurz in meinem Inneren, bevor ich erkläre: "Modedesigner können Frauen mit meinem Klamotten-Geschmack irgendwie nicht leiden. Von Hemden für Männer gefällt mir das eine oder andere, von Blusen für Frauen keine." "Aber da du dir doch ein Hemd gekauft hast, ich nehme an, eines der wenigen, die dir gefallen, warum guckst du dann, während du es betrachtest, griesgrämig?", fährt Ratz daraufhin fort zu stänkern. Damit bringt er das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen. "Ich gucke nicht griesgrämig!", schreie ich. "Ach so, ja, ungläubig", korrigiert er sich und tut dabei so, als sei er lediglich zerstreut gewesen. "Atheistisch?", erkundigt sich Dachs. "Arrgh! Ihr macht mich alle wahnsinnig!", schimpfe ich nun, wobei mein Gram sich aber schon aufzulösen und in sein Gegenteil überzugehen beginnt, dennoch verfinstert sich möglicherweise für einen Moment mein Gesicht. "Sag ich doch! Griesgram. Du bist und guckst griesgrämig", tut Ratz erneut kund. "Nein!", widerspreche ich ihm lautstark. Moritz springt zu mir auf die Schulter, schiebt mir eines seiner Pfötchen über den Mund und bittet: "Reg dich doch nicht so auf, du Ungläubige! Was an diesem Hemd glaubst du denn nicht?" "Endlich kommen wir auf das eigentliche Thema zu sprechen", atme ich erleichtert auf und antworte: "Den Pflegehinweis." Fünf Ratten springen auf bzw. in das nämliche Hemd, suchen, finden und lesen den Hinweis.



"Ich finde den glaubwürdig", bekundet Max. "Das ist doch der übliche Spruch, der in Sachen eingenäht ist." "Das ist wahr", stimme ich zunächst zu, bringe dann jedoch Zweifel an: "Ich glaube indes nicht, dass es gelingt, an einem dunkel-hell-karierten Hemd wie diesem die dunklen Karos getrennt von den hellen zu waschen. Oder lassen sie sich lösen und nach dem separaten Waschen wieder anbringen?" "Wohl kaum", kichern fünf Ratten wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und unsere aggressiv-provokant-gereizte Stimmung schlägt endlich in Heiterkeit um. Lachen macht hungrig. "Du hast außer diesem unwaschbaren Hemd nicht zufällig auch etwas zum Essen gekauft?" Ratz spricht diese Frage nicht aus, vielmehr ist sie ihm anzusehen, kurz bevor er plötzlich in meinem Rucksack verschwindet. "Für euch gibt's Birnen zum Abendbrot", verkünde ich und füge belehrend hinzu: "Obst vor dem Verzehr immer waschen." "Separat?", piepst Dachs. "Ja", lasse ich mich auf seine Ironie ein, "nicht mit dem Hemd zusammen." "Na, das ist ja ohnehin unwaschbar", grummelt es aus meinem Rucksack. Auch ein leises Schmatzen lässt sich von dort vernehmen.

Montag, 4. August 2014

Rabatz mit Kirsche

O-Ton Rabatz: "Zugegebenermaßen ist es im Sommer schrecklich heiß und man hätte hinreichend Grund zum Ächzen, Jammern, Jaulen, Stöhnen... Aber das Obst ist lecker."

Mittwoch, 30. Juli 2014

Dienstag, 29. Juli 2014

Neues Zuhause


"Na, wie findet ihr euren neuen Käfig?", frage ich die fünf Ratten. Rabatz und Moritz wickeln sich daraufhin in Zeitungspapier ein und lassen mich hinsichtlich ihrer Meinung im Unklaren. Max und Ratz antworten, während sie noch mit der Inspektion beschäftigt sind, etwas zögerlich: "Interessant",


woraufhin Max sich allerdings in das vertraute UFO kuschelt, das als Inventar mit umgezogen ist, und von dort aus ergänzt: "Gemütlich."


"Man muss sich ziemlich den Hals verrenken, wenn man an das Futter auf einer anderen als der Etage, auf der man gerade sitzt, gelangen will", nörgelt Ratz


und als Max das UFO verlässt und nach draußen schaut, gesellt sich Dachs zu ihm. Jedoch stellen beide ernüchtert fest, dass die Aussicht unverändert ist. 


"Wenn ihr neue Umgebung wollt, müsst ihr zu einem anderen Menschen in dessen Wohnung ziehen", erkläre ich und füge schnell hinzu: "Dann wäre ich aber sehr traurig." "Wir auch!", piepst es erschrocken aus allen Ecken des neuen Käfigs - deutlich geräumiger als ihr bisheriger, der aus mehreren kleinen zur Marke Eigenbau zusammengebastelt war. "Na, dann ist ja gut", beruhige ich uns und reiche zum Einzug Brot und Salz.

Sonntag, 27. Juli 2014

Fisch - lebend, küchenfertig, geräuchert

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "wollt ihr wissen, wo ich heute war?" Die fünf liegen platt wie Flundern und reagieren kaum spürbar. Nun ja, ist ein heißer Tag heute. Eine gefühlte Ewigkeit später, als ich meine Frage schon fast vergessen habe, piepst Moritz plötzlich: "Wo warst du heute?" "In einem kleinen mit EU-Fördermitteln aufpolierten Touristendorf südlich von Berlin", antworte ich. "Das besondere Highlight sind nicht totzukriegende Fische. Nach dem Angeln, also nachdem man ihnen das Wasser als ihre Existenzgrundlage bereits entzogen hat, leben sie weiter und - des Wunders nicht genug - auch das Räuchern bis zur Küchenfertigkeit bringt sie nicht um. Küchenfertig geräuchert werden sie lebend verkauft." Dachs, Max und Moritz schauen sich grinsend an und beginnen, leise miteinander zu tuscheln. Rabatz wirft mir einen äußerst zweifelnden Blick zu und Ratz grummelt zynisch: "Du erwartest nicht von uns, dass wir dir dieses Märchen glauben, oder?" "Ich glaube das Werbeversprechen eigentlich selbst nicht", sage ich und kann mir ein Lachen kaum verkneifen, "aber schaut doch." Ich halte ihnen ein Photo hin, sie überwinden ihre hitzebedingte Trägheit, kommen heran und lesen:

Trebbin Blankensee

"Du musst aufhören, Verkaufsversprechen zu photographieren", kommentiert Rabatz. "Ja", fallen ihm seine drei Kinder ins Wort, "sonst werden wir noch verrückt." "Hast du lebenden Räucheraal gekauft?", erkundigt sich Dachs. "Lebenden was?", entfährt es mir entsetzt. "Na ja", rechtfertigt er sich provokant, "als Vegetarierin isst du doch lediglich keine toten Tiere." "Ihh!", kreische ich, "lasst uns dieses Gedankenexperiment bitte augenblicklich abbrechen!" "Na gut", geben Max und Moritz sich wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen geschlagen, springen synchron aus dem Käfig und umkreisen schnuppernd die Plastiktüte, die ich mitgebracht und auf dem Boden abgestellt habe. "Gemüse", komme ich ihrer Frage zuvor. "Regional, saisonal, bio. Gekauft von Bauern, die ihr Geerntetes auch selbst essen, also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht giftig." Die Ratten nicken allesamt zustimmend.

Samstag, 19. Juli 2014

Dosis sola venenum facit - Allein die Menge macht das Gift

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "wollt ihr wissen, was ich heute mitgebracht habe?" "Hoffentlich etwas Leckeres", sagt Dachs mürrisch und starrt in den leeren Fressnapf. Ich enttäusche ihn mit den Worten: "Nee, nur photographierte Werbung über vermeintlich Leckeres." "Zeig mal!", verlangt Max und ich zeige.

S-Bahnhof Berlin Bornholmer Straße, auf dem
Bahnsteig zu den Zügen in Richtung Süden

"Warum hast du denn den Quatsch photographiert? Was ist daran interessant?", empört er sich. "Der Dilettantismus", erkläre ich. "Viele Fragen wirft er auf." "Welche denn?", erkundigt sich Moritz und ich beginne: "Was soll ich aus dieser drolligen Kioskfensterbeschriftung schlussfolgern? Die hier angebotenen Bouletten und Bratwürste sind lecker, Wiener, Bockwürste und Schinkenknacker indes nicht? Heute sind alle Fleischwaren lecker, was man bezüglich der Bouletten und Bratwürste lediglich ausdrücklich dazu schreibt, weil dem sonst nicht so ist? Bouletten und Bratwürste sind per se unlecker, man bewirbt sie hier jedoch als lecker, damit irgendein Volltrottel sie dennoch kauft? In der Imbissbudenverordnung steht, Bouletten und Bratwürste dürfen maximal 1,30 € kosten, man will sie aber teurer verkaufen, also benennt man sie um in leckere Bouletten und leckere Bratwürste? ..." "Hör auf mit deinen Vermutungen!", fordert mich Rabatz auf. "Bring bitte morgen oder übermorgen, wenn du das nächste Mal an dem Kiosk vorbeikommst, einfach von jedem Fleisch eins mit. Wir beißen uns durch und sagen dir dann, was du gekauft hast." "Du spinnst wohl! 8,10 € für einen Fleischberg!", entfährt es mir entsetzt und leise füge ich - grinsend - hinzu: "Den Blick des Verkäufers möchte ich allerdings sehen, wenn ich ihm eine leckere Boulette, ein Paar Wiener, eine leckere Bratwurst, eine Bockwurst, eine Schinkenknacker aufzähle. Er dürfte es nicht gewohnt sein, dass Kunden ihren Wochenendeinkauf bei ihm erledigen." "Dann hätten diese Werbeheinis ja gewonnen! Genau das wollen die doch, dass man kauft", grummelt Ratz vor sich hin. "Ein Werbeheini war hier ganz sicher nicht am Werk, eher der Kioskbetreiber persönlich", gebe ich mit leicht ironischem Unterton zu bedenken. "Nun ja", seufzt Dachs, kommt jedoch nicht weiter, denn Rabatz fällt ihm ins Wort: "Man fragt sich in der Tat besorgt, was die schwarzen Trauerränder um die beworbenen Esswaren herum zu bedeuten haben. Irgendetwas stimmt nicht. Vielleicht sind giftige Geschmacksstoffe drin, die ekliges Essen lecker schmecken lassen." "Alles ist Gift, es kommt nur auf die Dosis an", berufe ich mich auf Paracelsus und schlage sogleich vor: "Wir sollten uns jetzt Essen, das gut tut und schmeckt, in einer Dosis zuführen, die sättigt, aber nicht tötet." Fünf Ratten lecken sich ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen und huschen an mir vorbei in die Küche.

Montag, 14. Juli 2014

Kernenergie

Innerer Monolog von Ratz:


Frauchen hat doch tatsächlich einige vitamin-, mineral- und ballaststoffhaltige Kerne - sieht nach solchen aus Sonnenblumen, Pinienzapfen und Kürbissen aus - auf den Küchentisch und nicht in ihren Salat gestreut.


Lecker! Knusper, knusper!


Ich kann jedoch unmöglich alle auf einmal essen. Die für später habe ich unten im Herd versteckt. Ob sie das merkt?

Samstag, 12. Juli 2014

Pro und contra Bürgerarbeit

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "wollt ihr wissen, worüber ich mich heute aufrege?" "Na klar", antworten sie wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. "Es gibt ab nächstes Jahr die Bürgerarbeit nicht mehr", sage ich. "Du hast doch heute noch gar keine Abendnachrichten gesehen", erwidert Dachs spitz. "Woher weißt denn du das jetzt schon?" "Steht in fast allen Zeitungen", entgegne ich. "Wenn man, wie ich es heute getan habe, zur Stoßzeit U- oder S-Bahn fährt, ist das so eine Art Presseschau, man liest hier ein Zipfelchen Berliner Morgenpost, da einen Ausschnitt Süddeutsche, erhascht erst ein Stückchen Junge Welt, dann etwas Frankfurter Allgemeine... je nachdem, worin die Menschen um einen herum so blättern." "Aber...", und Moritz macht ein sehr nachdenkliches Gesicht zu seinem Einwand, "hast du nicht bisher stets kritisiert, Bürgerarbeit sei erstens pure Ausbeutung und integriere zweitens keinen Langzeitarbeitslosen in den 1. Arbeitsmarkt, sondern vernichte stattdessen reguläre Arbeitspätze?" "Doch", bekräftige ich. "Und warum beklagst du dann ihre Abschaffung?", bohrt er nach. "Wegen der Begründung dafür und der Folgen davon", erkläre ich. "Lass mich raten!", piepst Max aufgeregt. "Sie wird als zu teuer befunden." "Akkurat", gebe ich ihm recht und führe weiter aus: "Außerdem sind etliche der sozialen und kulturellen Projekte, die derzeit noch von Bürgerarbeitern über Wasser gehalten werden, dann von Schließung bedroht." "Wenn sie doch aber zu teuer ist...", gibt Rabatz vorsichtig zu bedenken. "Pah! Zu teuer!", nimmt Ratz mir energisch die Worte aus dem Mund. "Die Abgeordneten, die sich die Höhe ihres Arbeitsentgeltes selbst festlegen, statt sie wie jeder andere Arbeitnehmer vor Abschluss des Arbeitsvertrages mit dem Arbeitgeber - in ihrem Falle dem Volk - auszuhandeln, erhöhen sich ihre Diäten auf 9000,- € monatlich und 900,- €, also gerade mal 1/10 davon, sollen zu teuer sein?! Die Bürgerarbeiter, die diese 900,- € dann nicht mehr bekommen, werden Arbeitslosengeld II beziehen, was überhaupt nur für diejenigen ohne Kinder im eigenen Haushalt weniger ist. Die Väter und Mütter unter denen, die z. Zt. noch für monatlich 900,- € Bürgerarbeit verrichten, müssen jetzt schon beim Jobcenter betteln, trotz Arbeit. Sie lassen ihr Einkommen auf das aufstocken, was von Experten, die davon nicht leben müssen, als Existenzminimum errechnet wurde..." Damit er sich nicht derart in seine Wut hineinsteigert, dass er Bauchweh von ihr bekommt, unterbreche ich ihn anerkennend: "Recht hast du, Ratz. Besser könnte ich es nicht ausdrücken. Aber woher weißt du so genau, was ich sagen wollte?" "Ich kenne dich seit nunmehr 2 1/2 Jahren; so lange lebe ich nämlich schon", nuschelt er verlegen. Ich nehme ihn auf den Arm, küsse ihn auf die Nase und flüstere ihm ins Ohr: "Da du mich erstaunlich gut kennst, weißt du also auch, wie sehr ich Diäten ablehne. Lass uns nachschauen, was wir so an Kalorien im Hause haben." Er dreht sich zu seinen Artgenossen um und ruft: "Es gibt was Leckeres!" Vier Ratten galoppieren mehr, als dass sie liefen, in Richtung Küche, jedenfalls verursachen sie lautes Getrappel. Ratz wird behutsam von mir getragen und auf den Kartoffeln abgesetzt.

Sonntag, 6. Juli 2014

Dickes Fell


"Na Dachs", sage ich zu diesem sich gründlich putzenden Tier, "eine Schicht Winterspeck von recht beeindruckender Dicke hast du dir zugelegt. Ist doch aber gar nicht Winter!"


Er unterbricht seine Körperpflege, lässt sich nach vorn fallen, spitzt sein Mäulchen bzw. Schnäuzchen, an dem noch Joghurt-Reste vom Frühstück kleben, denn schließlich ist er mit dem Putzen nicht fertig, und erwidert: "Das ist kein Speck, sondern Fell. Dickes Fell braucht man auf dieser Welt, um gegen Vorwürfe aller Art, z.B. den, man sei dick-speckig, immun zu sein."

Montag, 30. Juni 2014

Vegane Massagen

"Na, ihr fünf", sage ich, als ich nach Hause komme und meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle, "ihr müsst noch etwas Geduld haben, bis ich wie gewohnt euren Käfig öffne, ich gehe vorher noch einmal schnell nach draußen." Ich schnappe meinen Photoapparat, entschwinde, bin gefühlte 3 1/2 Minuten später zurück und drücke die Käfigtüren auf. "Wo warst du?", fragt Dachs. "Vor der Haustür", antworte ich. "Was hast du da gemacht?", erkundigt sich Max. "Photographiert", gebe ich Auskunft. "Und was?", will Moritz nun genau wissen. "Werbung", presse ich zwischen meinen Lippen hervor. Bei dem Wort Werbung wird Ratz hellhörig. "Werbung?", piepst er vor Aufregung, statt wie sonst zu grummeln. "Wofür denn?" Ich drücke am Photoapparat auf Bildwiedergabe und halte Ratz das Display vor die Augen, die er daraufhin entnervt verdreht. "Gentrifizierung", seufzt er. "Hä? Gentrifizierung? Dafür werben die jetzt schon so ganz direkt?", schnauft Rabatz, während er Ratz beiseite schiebt, damit er auch etwas sehen kann. Dachs, Max und Moritz - ebenfalls neugierig geworden - drängeln mit. Sobald sich alle so positioniert haben, dass jeder lesen kann, konstatiert Max nüchtern: "Vegane Massagen für 45,- €. Kein Wort von Gentrifizierung."


"Das ist dasselbe", erklärt Ratz. Rabatz schüttelt daraufhin den Kopf und die drei Jugendlichen schauen ihren altersweisen Artgenossen sehr fragend an. Also führt der weiter aus: "Die Verdrängung einkommensschwacher Bewohner geht mit der Schaffung von Angeboten, die diese weder gebrauchen noch bezahlen können, einher." Mit einem lang gedehnten "Ach sooo", drücken Rabatz, Dachs, Max und Moritz aus, dass sie verstanden haben, und kurz darauf mault Moritz: "Das finde ich aber blöd." "Denkst du vielleicht, wir nicht?!", jammern Dachs und Max wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. "Na ja", versuche ich zu trösten. "Der Wedding hat so seine ganz eigenen Regeln. Das dauert schon noch etwas, bis wir hier weg müssen. Ich erinnere mich an das Restaurant Feinkost und Fremdsprachen. Es hat hier niemanden, sondern wurde verdrängt, und zwar an den Mauerpark." Zu unser aller Beruhigung öffne ich das Fenster, so dass die Auseinandersetzung zweier Kinder nichtdeutscher Herkunftssprachen, die genau darunter ausgetragen wird, an unsere Ohren dringt: "...ey, deine Mutta klaut bei Kik, du vollgeile Arschfotze..." "Na, die lassen sich bestimmt vegan massieren!", prustet Dachs los und kann kaum mehr an sich halten. Wir anderen stimmen in sein Gelächter ein.

Mittwoch, 25. Juni 2014

Gummibärchen? Nie mehr!

"Na, ihr fünf", sage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne. "Hast du uns etwas mitgebracht?", erschallt ihr fünfstimmiger Ruf. "Ja", gebe ich Auskunft. "Was denn?", fragen sie. "Gurke, Zwiebeln, Tomaten, Heidelbeeren, Joghurt", zähle ich auf. "Mehr nicht?", empört sich Dachs, "Nichts zum Naschen?", konkretisiert Max und Moritz wird mit "Keine Gummibärchen?" noch genauer. "Nee", erkläre ich, "habe ich euch doch kürzlich erst erläutert. Nie mehr Gummibärchen! Ich kaufe keine mehr. Ich laufe beim Einkaufen an den Süßigkeiten-Regalen vorbei, als wären sie leer." "Das war ernst gemeint?!", entfährt es Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. "Ja, selbstverständlich", erwidere ich so gelassen, wie mir das irgend gelingt. Die drei Jugendlichen schauen mich erschrocken, die beiden Erwachsenen erstaunt an. Kollektives Schweigen. Um die Stille nicht quälend werden zu lassen, beende ich sie, indem ich daran erinnere, dass Gummibärchen aus Gelatine, Sirup, Zucker, Dextrose, Frucht- und Fruchtsaftkonzentraten, Säuerungsmitteln, Aromen und Bienenwachs bestehen und da Gelatine aus dem Bindegewebe von Tierknochen bzw. Schweineschwarten hergestellt wird, letztlich nichts anderes als fruchtig aromatisierte, gesüßte Schlachtabfälle sind. "Und was ist mit vegetarischen Gummibärchen?", mault Moritz. "Bäh!", nimmt Max mir das Antworten ab. "Hast du schon vergessen, wie eklig die geschmeckt haben?" "Äh, nee, eigentlich nicht, war ja nur so eine Frage", stammelt Moritz. "Und außerdem", kommt nun Ratz in Fahrt, "sind die vegetarischen auch ungesund, viel zu viel Zucker!" "Genau", bestätigt Dachs mit wichtigtuerischer Miene. "Aber was ist mit unserer Sucht?", gibt Moritz nicht locker. "Die besiegen wir", versichert ihm Vater Rabatz und ich bin froh, diesen Satz nicht selbst aussprechen zu müssen. Stattdessen erwähne ich Käse. "Käse?" Fünf Rattennäschen beginnen zu vibrieren. "Käse hattest du eben nicht genannt, nur Gurke, Zwiebeln, Tomaten, Heidelbeeren und Joghurt", kritisiert mich der aufmerksame Dachs. Und während wir uns zu sechst - 5 Ratten, 1 Mensch - in die Küche begeben, weise ich darauf hin, dass der heutige Hinzukauf Gurke, Zwiebeln, Tomaten, Heidelbeeren und Joghurt umfasst, Käse und Brot indes noch vorrätig sind.

Sonntag, 22. Juni 2014

1 hockende Ratte + 1 hockender Mensch = 2 Hocker

Ich klicke mich durch die einschlägigen Rattenforen und finde bestätigt, was ich zwar nicht wissen will, aber doch längst weiß: Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Ratte, die eines natürlichen Todes stirbt, liegt bei 2 1/2 bis 3 Jahren. Ich drehe mich zu Ratz um, der in der geöffneten Käfigtür hockt und zu mir schaut. 


Und wie ich ihn da so hocken sehe, kann ich nicht anders, als zu ihm zu gehen und mich vor ihn zu hocken. "Du bist 2 1/2", seufze ich. Entgegen sonstiger Gewohnheit erwidert er nichts, jedenfalls nicht mit Worten. Sein Blick bittet: "Streichle mich!" Klar doch! Mache ich.

Samstag, 7. Juni 2014

Belle-Et-Triste gefunden

"Na, ihr fünf", frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, "wollt ihr wissen, was ich heute gefunden habe?" "Ja", piepst ein fünfstimmiger Chor und steckt neugierig die Köpfchen heraus. Dachs springt mit einem kräftigen Satz auf den Boden, marschiert schnurstracks auf meinen Rucksack zu und beginnt, ihn intensiv zu beschnuppern. "Nee, du", feixe ich, "im Rucksack ist es nicht. Was ich heute gefunden habe, lässt sich nicht einstecken und mitnehmen, jedenfalls nicht so direkt." Die auf mich gerichteten Rattenblicke werden noch neugieriger. "Nun sag schon", quängelt Moritz. Ich lasse die Tiere noch einen Moment ungeduldig zappeln. "Meine Buchhandlung", rücke ich dann mit der Sprache heraus. Sogleich werden aus ihren neugierigen Blicken irritierte. Nach einer Runde allgemeinen Schweigens räuspert sich Rabatz, dann konstatiert Ratz: "Aha. Du wirst jetzt also Buchhändlerin." "Um Himmels Willen!", entfährt es mir. "Nein! Keine Bücher verkaufen! Kaufen!" "Aber das machst du doch schon immer", merkt Rabatz an, während er vom Käfig aus auf mein Bett und von dort zu seinem Lieblingsplatz zwischen die Brecht-Bände ins Regal darüber springt. "Dazu musstest du nicht plötzlich deine Buchhandlung finden." "Musste ich nicht", gebe ich ihm recht, "aber ich tat es, und zwar unbeabsichtigt, gewissermaßen fast nebenbei... Zuerst bemerkte ich am U-Bahnhof Seestraße ein fabelhaftes Plakat für eine Buchhandlung namens Belle-Et-Triste, dann fuhr ich einen kleinen Umweg, der mich zu eben dieser Buchhandlung und in sie hinein führte..." "...und fortan kaufst du noch mehr Bücher als bisher", fällt mir Ratz stöhnend ins Wort. "Wäre das schlimm?", erkundige ich mich erstaunt, füge ihm widersprechend jedoch gleich hinzu: "Sei beruhigt. Ich werde nicht mehr Bücher kaufen als bisher, die, die ich kaufe, aber mit mehr Freude. Es ist eine Buchhandlung, wie ich dachte, dass es sie überhaupt nicht mehr gibt. Man geht hinein, sieht außer Büchern erst einmal nichts, das Licht ließe sich als funzlig beschreiben, ist aber in Wahrheit lediglich nicht aufdringlich, zunächst kein Mensch in Sicht, irgendwann hört man hinter einem Bücherstoß leise etwas rascheln: Oh, ein Buchhändler! Ob man sich umsehen dürfe? Ja, natürlich..." "Ach, weißt du", unterbricht mich nun Max, "eigentlich wäre es ja auch ganz schön, wenn du irgendwo unterwegs - z.B. in einem Lebensmittelgeschäft - Käse gefunden hättest." Leicht verärgert über so wenig Begeisterung für meine Schwärmerei knurre ich vor mich hin: "Muss auch nicht jeden Tag Käse geben. Wir haben Nüsse." Als wolle er um Entschuldigung bitten, umkreist Max meine Füße und kitzelt sie mit den Schnurrhaaren, während die anderen schon auf dem Weg in die Küche sind.

Montag, 2. Juni 2014

Unter falscher Flagge

"Na", fragt mich der ängstliche Moritz, der offenbar das Mutig-Sein übt, denn er ist aus dem Käfig, den ich geöffnet habe, zu mir ans geöffnete Fenster und den Weg über die Tischplatte hinter mir genommen habend auf meine Schulter gesprungen, "was ist mit dir heute wieder los?" "Was soll mit mir los sein?", entgegne ich. "Es soll gar nichts", erwidert er, "aber deinen Morgenkaffee hast du getrunken, der Rechner ist hochgefahren... Warum sitzt du nicht am Schreibtisch?" "Weil ich vorher lüften will und beim Öffnen des Fensters auf der Straße etwas entdeckt habe, was meine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt", führe ich aus. "Was denn?", erkundigt er sich. "Na guck doch selbst", fordere ich ihn auf. "Was siehst du?" "Sehr viel verschiedenes", sagt er, "und da wir in dieselbe Richtung schauen..." - er dreht sich kurz zu mir, um sich zu vergewissern - "sehen wir wohl beide dasselbe." "Im Großen und Ganzen ja", gebe ich ihm recht, "aber Wahrnehmung ist von Wesen zu Wesen verschieden, individuell und selektiv. Was fällt dir spontan als erstes auf, wenn du auf die Straße schaust?" "Die gestreiften Mini-Flügel links und rechts an dem blauen Auto da drüben", teilt er mit. "Hä?" Ich stutze, wenngleich nur einen sehr kurzen Moment. "Moritz", rufe ich sodann begeistert aus, "wir sind wesensverwandt! Du siehst Flügel, wo mit gelb-rot-schwarzem Stoff überzogene Rückspiegel sind!"


"Wie phantasielos!", schmollt er. "Meinetwegen. Sind das eben Rückspiegel. Aber warum gestreift?" "Die deutsche Fahne verkehrt herum", grummelt Ratz aus dem Hintergrund. "Jawohl, verkehrt herum gestreift", wiederholt Dachs, der neben ihm hockt, gelehrig. Max und Rabatz, die sich nun ebenfalls für die Streifen am Rückspiegel des auf der Straße parkenden Autos zu interessieren beginnen, eilen herbei und springen auf das Fensterbrett. "Was für Streifen? Ich will die auch sehen", fordert Max. "Ich auch", verlangt Rabatz. "Fußballweltmeisterschaft", knurrt Ratz vom Käfig aus. "Alle, die wollen, dass Deutschland gewinnt, bringen an den abenteuerlichsten Stellen die Farben der deutschen Fahne an." "An den abenteuerlichsten Stellen?", bohrt Max nach. "Ja", antworte ich an Stelle von Ratz. "Ich habe sogar Frauen mit gelb-rot-schwarz angemalten Fingernägeln gesehen." "Zurück zum Thema", quängelt Moritz von meiner Schulter herab. "Warum verkehrt herum?" "Diese Frage ist genau der Grund dafür, dass ich hier am Fenster stehe und die mit verkehrt herum gestreiftem Stoff überzogenen Rückspiegel an dem Auto dort anstarre", murmele ich vor mich hin. "Vielleicht meinen Leute, die Streifen verkehrt herum anbringen, gar nicht das Deutschland, für das die National-Elf spielt?", überlegt Max. "Sehr gut!", lobt ihn Ratz. Alle Augen (außer den seinigen) sind nun auf ihn gerichtet, er verdreht die eigenen genervt und erklärt "Gelb-rot-schwarz war die Fahne des Hambacher Festes." "Ah ja", erinnert sich Dachs, "das hast du mir doch vor kurzem erst erklärt: Nationale Einheit, Pressefreiheit, Mitbestimmung wollte das Bürgertum. Die Herrscher der deutschen Kleinstaaten, Preußens und Österreichs indes waren logischerweise gegen die Aufhebung der Kleinstaaterei und verboten diese Fahne. Aber die Menschen waren schließlich nicht blöd, vertauschten den gelben und den schwarzen Streifen, die umgedrehte Fahne wurde dann notgedrungen akzeptiert, später auch zu der der Weimarer Republik, der BRD sowie der DDR und ist im heutigen Deutschland noch immer die Staatsflagge." Ich bin von der Belesenheit beeindruckt, wenngleich die Ausführungen nichts zur Klärung der Frage beitragen, warum deutsche Fußballfans die Fahne des Hambacher Festes als Ausdruck ihrer Leidenschaft verwenden. Max errät wohl meine Gedanken. "Vielleicht geht es ja eigentlich überhaupt nicht um Fußball", vermutet er. "Die Leute nehmen Fußball nur zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass die Ziele von vor knapp 200 Jahren noch immer nicht erreicht sind." Ratz nickt anerkennend mit dem Kopf und ich konstatiere: "Max und Moritz, ich muss schon lobend erwähnen, ihr steht eurem Bruder Dachs in Sachen Bildung in nichts nach. Moritz stellt wichtige Fragen, Max richtige Vermutungen an und Dachs sein Wissen zur Verfügung. Gutes Team!" Lärmschützend schließe ich das Fenster - genug gelüftet - begebe mich mit Moritz, der nach wie vor auf meiner Schulter sitzt, endlich an den Schreibtisch, tippe Hambacher Fest in die Suchleiste und was erblicke ich?! "Nun seht euch das an!", entfährt es mir entsetzt. Augenblicklich kommen von allen Seiten Ratten zwischen mich und den Laptop gesprungen und schauen auf den Bildschirm:

http://www.google.de/imgres?imgurl=http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/Hambacher_Fest_1832.jpg&imgrefurl=http://de.wikipedia.org/wiki/Hambacher_Fest&h=432&w=576&tbnid=E1HnPXj50YNcFM:&zoom=1&tbnh=97&tbnw=129&usg=__4IGqtoJEZnyTQIJGw67t77ymb6I=&docid=bOL6Z8XKkurApM&sa=X&ei=qnOMU5GMIon8ywPBrYKYCA&ved=0CF0Q9QEwBQ&dur=143

"Wikipedia. Auf der teilkolorierten Federzeichnung ist die richtige gelb-rot-schwarze Fahne zu sehen, auf den Gedenkbriefmarken am Ende des Artikels die falsche schwarz-rot-gelbe", stellt Rabatz nüchtern fest. "Und was stimmt nun?", piepst Moritz missmutig.

Samstag, 31. Mai 2014

Guten Morgen!

Max und Moritz

- Gibt's was Neues?
- Weiß nicht. Wahrscheinlich. Lasst mal Radio einschalten.
- Gibt's Käse?
- Ja. Alten.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Wider die Antriebslosigkeit

"Los, Rabatz, beweg dich!", sage ich zu diesem faul im Käfig liegenden Tier durch die geöffnete Tür und schubse es mit der Hand nach draußen. "In letzter Zeit verlässt du den Käfig fast gar nicht mehr und bewegst dich in ihm nur noch zwischen Futternapf, Trinkflasche und Schlafplatz. So geht das nicht!" "Wieso nicht?", fragt er. "Wieso nicht?", äffe ich ihn nach, hebe ihn auf den Fußboden, was früher nicht nötig gewesen wäre, denn kaum war der Käfig offen, ist er unaufgefordert hinausgesprungen, und antworte ihm: "Weil Bewegungsmangel dir schadet." "Soso", räuspert er sich und wirft mir von schräg unten aus dem Augenwinkel einen Blick zu, der weitere Worte unnötig werden lässt.

Mister Argwohn?

NSA? Oh no, the rat is watching you


Rabatz

Mittwoch, 28. Mai 2014

Essen bei Licht

"Was zum Teufel tut sie nun schon wieder?", höre ich die Ratten tuscheln, die auf dem Tisch hinter mir hocken und ihre Köpfe zusammenstecken. "Ich putze das Fenster", gebe ich Auskunft. "Mit dem Staubsauger?", entsetzen sie sich im Chor. "Ja, klar", sage ich und drehe mich zu ihnen um. "Womit denn sonst?" Fünf Ratten schauen mich vollkommen entgeistert an. Mir scheint, ich muss etwas erklären. Ich hole also tief Luft und führe aus: "Ich sauge die verstaubten Spinnweben ab. So macht man das. Habe ich kürzlich in Heiko Wernings Wedding-Geschichte "Fenster putzen" gelesen. Man saugt seine Fenster und schon stellt man fest, so dunkel, wie Menschen gerne behaupten, ist es im Erdgeschoss überhaupt nicht." "Und wozu das Ganze? Was haben wir davon?", erkundigt sich Moritz. "Wir können aus dem Fenster schauen und sehen den Ausschnitt Welt davor farbig", antworte ich. "Den Typen von schräg gegenüber jenseits der Straße, der den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als aus seinem Fenster heraus durch Fenster diesseits der Straße in hiesige Wohnungen hinein zu glotzen, will ich überhaupt nicht in Farbe sehen", nörgelt Ratz. "Und ich den Regen nicht", fügt Rabatz grummelnd hinzu. Auf Moritz' berechtigten Einwand, dass Wasser ohnehin farblos sei, geht irgendwie niemand ein. "Lasst uns was Schönes machen", schlägt Max indessen vor. "Was genau?", hake ich nach. "Käse essen!", piepst er. "Guter Vorschlag!", lobt ihn Dachs. "Blöder Vorschlag", widerspreche ich. "???", fragen mich wortlos fünf Rattenaugenpaare. Daher präzisiere ich: "Es ist kein Käse da." "Etwas anderes als Käse essen", korrigiert Max sich sogleich und ich ergänze: "Bei lichtdurchlässigem Fenster." Ratz empfiehlt: "Lass doch die Jalousie herunter, dann kann der von da drüben uns beim Essen nicht zugucken." "Guter Vorschlag!", findet Max und will von mir wissen: "Was haben wir denn?" "1 Kanten Vollkornbrot, 1 Rest Zaziki, 1/2 Dutzend Tomaten, 1 Zipfel Gurke, 2 Kekse", zähle ich auf. "Hurra!", ertönt ein fünfstimmiges Freudengeschrei und während ich noch damit beschäftigt bin, die Jalousie herunterzulassen, stürmen die Ratten in die Küche. Nun ja, der Ratten-Rentner Ratz ist nicht mehr gar so stürmisch.

Heiko Werning: Im wilden Wedding. Zwischen Ghetto und Gentrifi-
zierung. Geschichten, Edition Tiamat, 1. Auflage, Berlin 2014, S. 21.

Dienstag, 27. Mai 2014

Moritz in G.s Jackentasche

Ich bin (fast) überhaupt nicht zu sehen.

Na, so ein bisschen kann man ja mal herausgucken...

... Dann noch ein bisschen weiter...

... Und schließlich mit dem ganzen Kopf.


Der Dialog dazu:

- Mensch Moritz, du olle Angstratte!
- Ich bin kein Mensch!
- Äh, stimmt... Ratte Moritz, du olle Angstratte!
- Ich bin nicht oll!
- Äh, stimmt... Moritz, du niedliche, kleine Angstratte, sei doch nicht so ängstlich!
- Wie soll ich das denn machen?
- Hm... Weiß ich auch nicht. War 'ne unüberlegte Aufforderung. Tut mir leid.

Freitag, 23. Mai 2014

Kein Rattenwohlfühlparadies?

"Nie kann ich mal in Ruhe etwas lesen und nachdenken, immer lesen 5 Ratten mit, kommentieren und stellen Fragen", grummele ich leicht genervt vor mich hin und werde alsogleich lauter, indem ich mit Dachs, der über die Tastatur spaziert, schimpfe: "Geh weg hier! Oder willst du den Artikel umschreiben?!" "Nein", antwortet er, "ich habe ja gar keine Berechtigung, hier zu schreiben. Ich habe keinen Online-Account. Ich will nur dichter an den Bildschirm, denn Ratten haben nicht so gute Augen." "Aha", erwidere ich, klicke das Symbol für große Schrift an, denn wir haben es gerade mit einer barrierearmen Seite zu tun, und schubse ihn vorsichtig von der Tastatur. "Und", fragt er, "warum liest du dir diesen Europa-Wahl-Mist durch?" "Das ist kein Mist", sage ich. "Übermorgen ist Wahl." "Ich denke, da geht es um die Bebauung oder Nicht-Bebauung des Tempelhofer Feldes", quatscht Rabatz dazwischen. Ratz verdreht genervt seine Augen und erklärt: "Es sind EU-Wahl und Tempelhofer-Feld-Abstimmung." "Was hat denn das beides miteinander zu tun?", erkundigen sich Max und Moritz. "Nicht viel", räume ich ein. "Aber Volksabstimmungen werden meist mit Wahlen zusammen durchgeführt, damit die Menschen nicht doppelt an die Wahlurnen gerufen werden müssen. Das verringert den Aufwand." "...und vermehrt die Verwirrung", fügt Rabatz hinzu. "Da hast du allerdings recht", stöhne ich. "Und die Tempelhofer-Feld-Abstimmung wäre ganz ohne gleichzeitige EU-Wahl schon verwirrend genug." "Wie hast du dich denn nun entschieden?", will Dachs wissen. "Dem Volksbegehren werde ich mit JA zustimmen - keine Bebauung der Freifläche, denn es gibt in Berlin genügend unbebaute Freifläche, die nicht Naherholungsgebiet ist. Den Gesetzesentwurf des Berliner Abgeordnetenhauses werde ich mit NEIN ablehnen - keine Bebauung der innerstädtischen Freifläche, auch nicht am Rand, denn den Abgeordneten glaube ich nicht, dass sie, wenn sie Rand sagen, auch tatsächlich nur Rand meinen." "Ja, aber...", beginnen Max und Moritz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen enttäuscht zu stottern, "wir wollten doch... keine Randbebauung... und stattdessen... in der Mitte des Feldes... ein Rattenwohlfühlparadies... so mit Nagervitamingrasfeld, Kletterbäumen, Rennstrecke, Versteck-Tunneln, Fußbad..." "Ich weiß, ich weiß", versuche ich sie zu trösten, "aber darum geht es leider in keiner der beiden Abstimmungsfragen. Ich müsste beide mit NEIN beantworten." "Und warum machst du das nicht?", regt Dachs sich auf. "Weil das zwar beide Entwürfe ablehnen, aber im Endeffekt nicht zu einem Rattenwohlfühlparadies führen würde. Dem müsste eine Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmen und es gibt nicht genug Menschen, die Ratten wichtig finden", seufze ich. "Ihr Menschen seid alle doof und daran ändert auch die EU-Wahl nichts!", schreit Dachs und schlägt ärgerlich mit einem seiner Pfötchen auf die Tastatur. Aber davon wird lediglich die Schrift auf dem Bildschirm wieder kleiner.

Freitag, 2. Mai 2014

Nichts umkommen lassen

Frauchen frühstückt gewöhnlich Haferflocken-Obst-Joghurt-Müsli, die Tiere lecken anschließend die Joghurt-Becher aus


und die werden nach dieser ökologischen Säuberung auf natürlicher Speichelbasis - nun ja, am Boden teilweise etwas benagt - für Frauchens einzigen Lieblingssohn, den Landwirt in spe, gesammelt und zu Pikierkästen weiterverarbeitet...

Donnerstag, 1. Mai 2014

1. Mai - Tag der Arbeit

"Was machst denn du da?", fragt mich Moritz, als er mich vorm Laptop sitzen und ein fast fertig ausgefülltes Formular anstarren sieht. Ich grummele irgendetwas vor mich hin. "Habe ich nicht verstanden", lautet die Ich-Botschaft, die er mir daraufhin sendet. "Macht nichts", sage ich. "Doch", widerspricht er. Ich seufze. Dann herrscht Schweigen. Jedoch mögen wir es nicht, beherrscht zu werden, also beendet Moritz kurz darauf diese Herrschaft des Schweigens, indem auch er seufzt, dann seufze wieder ich und so geht das noch eine Weile hin und her. Irgendwann haben wir keine Lust mehr zu seufzen und es hilft ja auch niemandem weiter, also erkläre ich: "Ich muss für das Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg, von dem ich seit knapp einem Jahr einen Auftrag habe, einen Profilbogen ausfüllen." Und erneut seufze ich. Die anderen vier Ratten, die sich für unser Gespräch zu interessieren beginnen, springen nacheinander auf den Tisch. Dachs schaut abwechselnd zu mir und zu Ratz, der gewöhnlich, wenn ich es nicht tue, oder aber er anderer Meinung ist als ich, allen alles erklärt, aber diesmal nichts erklärt, jedenfalls nicht direkt, sondern stattdessen drei für die Klärung nicht unbedeutende Fragen stellt: "Profilbogen? Bewerbung? Jetzt?" Ich nicke und seufze noch einmal. Er hakt nach: "Du bekommst zuerst den Auftrag und bewirbst dich dann?" Ich schüttele den Kopf. "Muss das jetzt irgendjemand verstehen?", erkundigt sich nun Max. "Muss nicht", führe ich aus. "Och, nun krieg doch einfach mal deine Zähne auseinander!", fordert Rabatz mich zu mehr Gesprächigkeit auf, ich indes gähne zunächst - das ist auch Mundöffnen mit Zähnezeigen - und füge erst etwas später gereizt hinzu: "Jetzt gebt doch einfach mal Ruhe, lasst mich überlegen, mit welchen Klienten ich mir das Arbeiten grundsätzlich zutraue, und hier eintragen, welche Krankheiten bzw. Behinderungen ich als Betreuungsaufgabe ausschließe!" "Nö, das hat Zeit", nörgeln Dachs und Ratz, "vorher wollen wir von dir noch wissen, wie ihr Menschen euch Arbeit macht." "Ihr wollt was?!", kreische ich. "Ich soll euch mal eben schnell, so fast nebenbei den Ersten Arbeitsmarkt erklären?!" Ich stampfe in die Küche, ziehe einige JW-Seiten mit dem grausamen Titel Kapital & Arbeit aus dem Altpapier, stecke sie ihnen in den Käfig, kehre vor mich hin fluchend "Wie wir Menschen uns Arbeit machen" zurück an den Schreibtisch, sehe auf ihm fünf äußerst erschrockene Ratten hocken und erschrecke sogleich selbst: "Oh, was habe ich getan?! Meine schlechte Laune an euch ausgelassen." Als ein Zeichen der Versöhnung lege ich meine ausgestreckte Hand vor ihnen ab und, oh Wunder, sie nehmen die Entschuldigung an, krabbeln den Arm als Brücke nutzend auf meine Schultern und von dort mir unter den Pullover, wo sie es sich gemütlich machen. (Ratten sind wahrhaftig die besseren Menschen, also ich meine, nicht nachtragend.) Irgendwann taucht Moritz' Mäulchen bzw. Schnäuzchen neben einem meiner Ohren auf und er wispert: "Verrätst du uns nun, warum du dich um einen Auftrag bewerben musst, den du längst hast?" "Nun ja", antworte ich und augenblicklich ragen auch die anderen vier Köpfchen unter meinem Ausschnitt hervor, "ich muss mich nicht nachträglich bewerben, das habe ich vorher getan, sondern einen verloren gegangenen Profilbogen durch einen neuen ersetzen." "Die haben deine Zettel verbummelt?!", empören sich Max und Moritz synchron. "Sieht ganz so aus", bestätige ich. "Erst ist das Amt vom früheren Standort - asbestverseucht - in ein Ausweichgebäude umgezogen und dann gab es im Zuge von Umstrukturierungen auch noch Zuständigkeitswechsel, also das Prinzip, nach dem Klienten und deren Helfer den Mitarbeitern des Amtes zugeordnet sind, wurde geändert, da passiert so manche Unwägbarkeit..." "Und deshalb hast du nun schlechte Laune", mault Moritz. "Na, inzwischen nicht mehr, oder?", entgegne ich halb spöttisch, halb fragend, während ich einen nassen Fleck auf meinem Pullover betrachte, wo unmittelbar zuvor noch eine Ratte gesessen hat. "Haben wir eigentlich heute schon gefrühstückt?" Auf diese Frage erhalte ich ausschließlich nonverbale Reaktion: Fünf Ratten fliegen mehr, als dass sie liefen, in die Küche. Nur Ratz ist nicht mehr gar so schnell.  

Sonntag, 13. April 2014

Basislatschen

"Was machst denn du da?" erkundigt sich Moritz, der auf meiner Schulter sitzt und an meinen Haarspitzen knuspert. "Guck weg!", knurre ich. "Ich ändere das Passwort." "Was ist ein Passwort?", will er wissen. "Steht das in deinem Pass?" "Nein", antworte ich, "die Buchstaben- , Sonderzeichen- und Zahlenkombination, die ich eintippen muss, um auf ausschließlich mir vorbehaltene persönliche Seiten zu gelangen, heißt nur so. Vielleicht, weil es sie genau wie meinen Pass nur einmal gibt. Oder weil ich sie mir ausdenke und sie genau zu mir passt." "Hm. Warum änderst du sie dann?", hakt er nach. "Weil es sein könnte, dass jemand sie ausgespäht und nun unbefugterweise Zugang zum Konto hat", erkläre ich. "Arrgh!", schreit er auf, "zu unserem Konto? Mit unserem Geld?" "Na ja", werfe ich ein, "eigentlich ist das mein Geld, aber stimmt schon, ihr lebt davon mit." "Dann gucke ich nicht weg!", protestiert er. "Dieses Passwort muss ich auch wissen." "Dieses Passwort musst du nicht wissen!", gebe ich Kontra. "Das Konto verwalte ich ohne euch. Guck weg!" "Ich gucke nicht weg!", piepst er ärgerlich. "Ohne Neugier und Wissensdurst wäre ich überhaupt keine Ratte!" "Oh, du wundervoll neugierige und wissensdurstige Ratte! Ich liebe dich", sage ich, huste gekünstelt, puste mit der dabei ausströmenden Luft einen zerknüllten Kassenbon vom Tisch und flüstere sodann scheinheilig vor mich hin: "Mist, jetzt habe ich das mühevoll ausgetüftelte Passwort, das ich eingeben will, vom Tisch geblasen." Schneller als der Wind springt Moritz dem Zettel hinterher. Die Zeit, die er benötigt, um zu bemerken, dass er hinter's Licht geführt wurde, nutze ich, um mein Passwort für's online-Banking zu ändern, und sehe dann, wie der verdrießliche Moritz zu seinen Brüdern schleicht, die sich unterm Bett um irgendetwas zanken, das sie dort gefunden haben, obwohl es wahrscheinlich keinem von beiden gehört. Das Gezänk endet abrupt, verschwörerisches Wispern dreier pubertierender Brüder tritt an seine Stelle. Zu dritt kommen sie kurz darauf im Gänse- bzw. Rattenmarsch zu mir, springen auf den Tisch, reihen sich neben dem Laptop auf und blicken mich bitterböse an. Ich versuche, bitterböse zurückzugucken, muss aber grinsen. Ihre Blicke verfinstern sich noch stärker und Dachs hebt zu sprechen bzw. zu drohen an: "Sofort zeigst du uns das Passwort!" "Nö", erwidere ich. "Doch", fordert er. "Nö", wiederhole ich mich. "Doch", beharrt er auf seinem Standpunkt. "Wir wollen wissen, was du so kaufst." "Na, das dürft ihr", räume ich ein. Da ich noch eingeloggt bin, klicke ich lediglich auf die Umsatzübersicht und sie lesen. "Was hast du im Futterhaus gekauft?", fragt Max. "Basislatschen?" Ich runzele meine Stirn. "Wie kommst du auf Basislatschen? Im Futterhaus kaufe ich Futter für euch, aber für niemanden Latschen." "Steht doch aber da", behauptet er und zeigt auf die Buchung von 10,71 €.


"Du musst schon richtig lesen!", entfährt es mir und ich lache. "Da steht nicht Basislatsch, sondern Basislastsch., was die Abkürzung für Basislastschrift ist. Unser Konto wurde mit 10,71 € belastet, als ich für das Ratten-Premiumfutter und den Nager-Vitamingrastunnel mit EC-Karte bezahlt habe." "Stimmt, das Futter schmeckt in letzter Zeit besonders lecker", gestehen Dachs, Max und Moritz. "Aber dass diese komische grüne Röhre fressbar ist, muss man doch gesagt kriegen..." Drei Ratten-Jugendliche hoppeln zurück in den Käfig, in dem die beiden Erwachsenen, die nach ihrem Spaziergang durch die Wohnung längst zurückgekehrt sind, gesättigt liegen und schlafen, und fressen sich durch die Wände des Nager-Vitamingrastunnels, den sie bisher nur zum Verstecken genutzt hatten. "Basislatsch", schmatzen sie übermütig laut. "Gut, dass wir Kontoeinsicht gefordert haben. Sonst wüssten wir nicht, was wir hier Leckeres haben." "Sprecht nicht mit vollen Mäulchen bzw. Schnäuzchen", grummelt Vater Rabatz im Schlafe und dreht sich auf die andere Seite.

Freitag, 4. April 2014

Handwerker im Keller ersparen den Wecker

"Was ist denn jetzt los?", entfährt es mir, als ich um 07:45 Uhr davon aufwache, dass es in der gegenüberliegenden Zimmerecke zwischen Schrank und Außenwand zu poltern und unter diversen alten Farbschichten und Tapetenresten meines Vormieters, die dort noch kleben, zu knistern beginnt. "Was machen die verdammten Biester?!" So schnell, wie meine ramponierten Knochen und abgenutzten Gelenke es zulassen, springe ich aus dem Bett und schaue zum Käfig. Er ist verschlossen. Aus dem Käfig gucken 5 Ratten zu mir, dann zu der Ecke, in der es rumort, wieder zu mir, dann zur Zimmerecke... "Mit den Biestern meinst du nicht etwa uns?!", droht Ratz halb beleidigt fragend, halb anklagend. Es dauert noch einen Moment, bis ich endgültig wach bin, dann erwidere ich: "Nein, ich vermute, ich meine damit die Handwerker im Keller." Ich gehe zur Lärmquelle und sehe, dass das Rohr, das dort im Fußboden steckt und ca. 10 cm überm Fußboden rechtwinklig abgeknickt, aber nirgends angeschlossen ist, sondern nach weiteren 10 cm einfach endet, von dem ich noch nie wusste, wozu es eigentlich dient, sich dreht und mit dem abgewinkelten Ende abwechselnd gegen den Schrank und die Wand schlägt. Ich begebe mich also in den Keller - wie gut, dass ich in Leggings und Sweatshirt zu schlafen pflege, und nicht in herkömmlicher Schlafkleidung - und erkläre den Handwerkern, die dort am Rohr rütteln, um es herauszuziehen, dass sie bitte von meinem Zimmer aus und in die andere Richtung weiterziehen mögen, das sei erfolgversprechender, denn das Rohr habe oberhalb der Kellerdecke, die von der Rückseite mein Fußboden ist, einen Knick. Die Handwerker glauben mir zunächst nicht. "Soll ich ein Beweisphoto anfertigen und Ihnen bringen?", erkundige ich mich. Sie verneinen und einer der beiden folgt mir. Mürrisch zieht er das Rohr aus dem Boden und brüllt zu seinem Kollegen hinunter: "Bring ma Sprühschaum!" Der Kollege kommt mit dem Gewünschten. Beide bleiben vor dem Käfig stehen und glotzen hinein. 5 Ratten glotzen zurück. Kopfschüttelnd geht einer der Handwerker den Sprühschaum in das Loch im Fußboden sprühen, wo vorher das Rohr war, während der andere mich fragt: "Dit sind aber keene Ratten, oder?" "Doch", sage ich und füge, da er sehr entsetzt schaut, hinzu: "Nachkommen von gezüchteten Laborratten. Die sind nicht giftig, beißen nicht und übertragen keine Krankheiten." "Und imma wenn die Kinda machen, müssen se die och wieda züchten?" "Nein", erkläre ich, "die Kinder erben das Gezüchtete von ihren Eltern. Aber die 5 hier machen untereinander keine Kinder, denn sie sind alle Männer." "Ach, da sind die wohl schwul, wa?!", ruft er aus und den 5 Tieren stehen vor Entsetzen die Mäulchen bzw. Schnäuzchen offen. Ich ringe mir ein Lächeln ab und bin froh, dass sein Kollege inzwischen mit dem Verschließen des Loches fertig ist und man sich höflich, aber bestimmt verabschieden kann. Als die Wohnungstür geschlossen ist, findet Ratz als erster seine Sprache wieder. "Du hast Recht", murmelt er. "Die Handwerker sind Biester." Wir lachen zu sechst ein befreiendes Lachen, bis mein Wecker klingelt, den ich ausdrücke mit den Worten: "Dich braucht heute keiner mehr. Aber ich brauche jetzt Kaffee." "Und wir?", piepsen 5 Ratten. "Ihr braucht Käse", lege ich fest und öffne den Käfig, damit sie mir in die Küche folgen können.

Dienstag, 1. April 2014

Bruderliebe

Dachs und Moritz kuscheln

Rattenrudel Raspelzahn

"Das habe ich nun davon, dass ich euch großzügig Auslauf gewähre!", schimpfe ich. "Wer war das?"


Mäuschen- , nein Rättchenstille breitet sich im Zimmer aus, bis Moritz sie nach einigen qualvollen Minuten mit zaghaftem Stimmchen beendet: "Also das Loch in die Decke geknabbert haben meine Brüder und ich, aber die Rosinen hinzugefügt hast du." Hörbare Heiterkeit tritt an die Stelle des vorherigen Schweigens.