Samstag, 26. Oktober 2013

Problembeladene problematische Problembündel

Entgegen sonstiger Gewohnheit komme ich nichts sagend (getrennt geschrieben, also nicht nichtssagend) nach Hause, stelle meinen Rucksack neben das Fahrrad, vergesse, die Ratten aus dem Käfig zu lassen, setze Teewasser auf, stelle mit Erleichterung fest, dass das Telefon nicht blinkt, ich also niemanden zurückrufen muss, und stöhne dennoch, als ich den Rechner hochfahre und den Ordner Dokumentationen öffne… Erst dann werde ich gewahr, dass hinter mir die Rattenböcke mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Kraft verZWEIfelt – zu ZWEIt - am Käfig rütteln und ihren Namen alle Ehre, also Ra(ba)tz machen. „Lass uns raus, lass uns raus, sonst rebellieren wir“, rufen sie wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Was soll das denn?“, frage ich, „Ihr adaptiert neuerdings Märchen?“ „Was anderes als das, was du uns zum Lesen hinlegst, können wir schließlich nicht lesen“, mault Ratz und zeigt auf die neben dem Käfig aufgeschlagen liegende Sammlung der Brüder Grimm. „Sonst studiert ihr immer die Zeitungsschnipsel, die ich euch mit der Streu in den Käfig schmeiße“, sage ich. „Die langweilen diesmal“, klagt Rabatz. „Was ist es denn?“, erkundige ich mich. „Och, irgendein Lifestyle-Mist aus dem Berlin-Teil oder so.“ „Hm“, halte ich dagegen. „Lebensstil… Muss nicht zwingend langweilig sein. Ich werde täglich mit den verschiedensten Lebensstilen konfrontiert, die wenigsten davon ähneln auch nur im Ansatz meinem, aber gerade das macht sie interessant.“ „Das kannst du aber nicht vergleichen“, merkt Ratz an, „Du hantierst im Leben derer, die längst ins Abseits katapultiert, die krank, behindert oder von Behinderung bedroht sind, die zusammen mit Angehörigen und – so sie noch welche haben – Freunden aus dem Abseits heraus darum kämpfen, nicht nur auch ein wenig am Leben teilnehmen, sondern obendrein Freude daran haben zu dürfen…“ Er hält kurz inne, wahrscheinlich deshalb, weil ich ihn entgeistert anschaue, und fragt kleinlaut: „Habe ich dich nicht richtig wiedergegeben?“ „Doch, doch“, beeile ich mich zu erwidern, „nur habe ich nie geahnt, einen derart aufmerksamen Zuhörer in dir zu haben.“ „Ja, ja, du unterschätzt mich“, fährt er fort, „aber zurück zum Thema. Die Lebensstile derer im Abseits darfst du mitnichten mit dem vergleichen, was auf den Lifestyle-Seiten der Zeitungen steht.“ „Du hast Recht“, falle ich ihm ins Wort, „Lifestyle beinhaltet nicht Leben, sondern stylisches Leben. Ich stelle ihn mir anstrengend vor, diesen sinnlosen Kampf, cooler, geiler, krasser, abgefahrener, hipper… als alle anderen zu sein. Und langweilig.“ „Sage ich doch“, triumphiert Rabatz, „langweilg.“ „Allerdings“, gebe ich zu bedenken, „glaube ich, dass Menschen, die in ihrem endlos scheinenden Kampf – David gegen Goliath, Mensch gegen (Eingliederungshilfe bewilligende bzw. ablehnende und Antragsteller bevormundende) Behörde - so problembeladen sind, dass sie davon zuweilen tatsächlich auch selbst problematisch werden, also wahrhaftig problembeladene problematische Problembündel sind, sich – zumindest manchmal – nichts sehnlicher als eine Portion Langeweile wünschen.“ „Jetzt verwechselst du Langeweile mit Freizeit“, kontert Ratz. „Ja“, stimme ich ihm nach kurzem Nachdenken zu. „Und warum“, so Rabatz, „hast du dich vorhin stöhnend auf deinen Schreibtischstuhl fallen und uns unnütz lange im Käfig schmachten lassen? Du hast doch genügend Freizeit.“ „Nun ja“, gestehe ich, „ich habe mehr Freizeit als die meisten derer, in deren Leben ich mich erwerbstätigerweise einmische, aber ein problembeladenes problematisches Problembündel bin ich leider irgendwie auch.“ „Findest du? Ist mir noch nie aufgefallen“, säuselt Rabatz nachdenklich. „Das liegt daran, dass du eine Ratte bist“, sage ich. Darauf er: „Ist das jetzt eine Beleidigung?“ Dann wieder ich: „Nein.“ „Na, man merkt das aber doch schon, dass du nicht so 100%ig normal bist. Auch als Ratte“, wispert Ratz und fügt einschränkend hinzu, „zumindest manchmal.“ „Irgendwie sehe ich überall nur noch Probleme. Nichts als Probleme“, ächze ich, „zum Beispiel hier! Seht mal, wie dreckig es hier ist, alles voller Dreck!“ Rabatz wuselt auf dem Teppich herum und ruft übermütig: „Dreck? Wo? Wo? Wo?“ Ich zeige missmutig schweigend auf verschiedenstes undefinierbares Körniges um mich herum, woraufhin Rabatz piepst: „Brot- und Nusskrümel! Lecker! Lecker! Lecker!“, von einem Stückchen zum nächsten springt und freudig weitere von mir als solche bezeichnete Probleme sucht. „Leider lassen sich nicht alle Probleme so einfach aufessen“, prustet es aus mir heraus, „und täten sie es doch, würden selbst die geübtesten Esser mit den elastischsten Mägen platzen, denn die Probleme sind zu viele und zu groß.“ „Aber Pseudo-Probleme lassen sich als solche enttarnen“, argumentiert Rabatz. Recht hat er! Ratz, der Nahrungsstücke bevorzugt, die größer sind als Krümel, begibt sich unterdessen in die Küche. Ich beschließe, dass die heutigen Klienten-Dokumentationen, derentwegen ich den Computer hochgefahren habe, auch ein Viertelstündchen später geschrieben werden können, und folge ihm dorthin, wo ich dann erneut Teewasser aufsetze, denn das Gerät schaltet sich ab, sobald das Wasser in ihm siedet, aber nach der Abkühlung auf lauwarm nicht automatisch wieder ein. (Und auch das ist kein wirkliches Problem, sondern sinnvoll. Wie oft würde sonst, wann immer ich vergesse, dass ich ein Heißgetränk hatte zubereiten wollen, Wasser stundenlang im Wechsel zum Sieden gebracht und wieder abkühlen, zum Sieden gebracht und wieder abkühlen…) „Es gibt aber leider auch Probleme, die sich als Giganten vor den ohnehin schon problembeladenen problematischen Problembündeln auftürmen, ihnen die Sicht versperren, sie am Weitergehen hindern, zur Handlungsunfähigkeit verdammen und sich nicht als Hirngespinste erweisen…“, murmele ich vor mich hin. „Ach was“, plappert Rabatz, „dazu hat Gott, der Schöpfer, die Nagetiere geschöpft. Wir raspeln mit unseren Raspelzähnchen alles klein.“

Bewegungsunfähig satt

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffnen will, „wollt…“ Weiter komme ich vor Verblüffung erst einmal nicht, denn ich sehe Rabatz alle Viere von sich gestreckt auf dem Küchentisch neben einer von Rattenzähnen sorgfältig aufgenagten Schokoladenschachtel liegen, deren ehemaliger Inhalt fast vollständig vertilgt ist. Er macht einen sehr satten, aber irgendwie bauchschmerzigen Eindruck auf mich. Als ich meine Sprache wiederfinde, erkundige ich mich: „Wie bist du aus dem Käfig gelangt?“ „Du hattest vergessen, ihn zu schließen“, versucht er, mir glaubhaft zu machen. Ich glaube ihm jedoch nicht, sondern gehe zum Käfig, aus dessen geöffneter Tür Ratz schaut und den Kopf schüttelt. „Ratz“, forsche ich nach, „habe ich vergessen, den Käfig zu schließen?“ Ratz schüttelt weiterhin den Kopf. Ich prüfe den Verschluss, biege den Verschluss-Nippel weiter nach unten, hole Rabatz, der viel zu vollgefressen ist, um mir wegzulaufen, und stecke ihn mit den unpädagogischsten aller unpädagogischen Worte „Das hast du nun davon!“ in den Käfig zurück, bevor ich den schließe und darauf achte, dass der Verschluss fest einrastet. „Du erinnerst mich an das Opossum, das in eine Bäckerei eingebrochen ist“, sage ich mit kaum verhohlener Schadenfreude, mache mich aber dennoch sogleich daran, Kamillentee zu kochen. Man kann das arme Tier schließlich nicht derart darben lassen!

Sattes diebisches Opossum
Bildquelle: Facebook

„Opossum“, stöhnt Rabatz leise, „ich bin doch kein Opossum.“ „Nein“, schimpfe ich, „du bist ein Dieb!“ Rabatz drückt seinen Kopf mit dem Mäulchen bzw. Schnäuzchen gegen den Käfigboden, legt die Vorderpfötchen auf seine Ohren, schließt die Äuglein und will vorübergehend nichts mehr von mir wissen.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Zettelstapel

Stöhnend betrachte ich die Erinnerungs- und Denke-daran-Zettel auf meinem Schreibtisch und weiß nicht, womit beginnen. Das reinste Durcheinander! Wichtig sind sie alle, sonst lägen sie nicht hier, Unwichtiges bzw. bereits Erledigtes pflege ich wegzuschmeißen bzw. zu schreddern und den Ratten zum Nestbau in den Käfig zu schütten. Ich nehme wahllos einen Zettel, dann einen zweiten und stecke ihn darunter, dann einen dritten und schiebe ihn dazwischen, dann einen vierten und lege ihn ganz nach oben… Rabatz und Ratz hocken nebeneinander nahe der Tischkante, schauen mir skeptisch zu und fragen dann wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen: „Was machst denn du da?“ „Ich sortiere meine Zettel“, erkläre ich. „Willst du nicht lieber erledigen, was auf den Zetteln steht, als dich mit den Zetteln selbst zu beschäftigen?“, fragt Ratz. „Du weißt, dass ich deine altklugen Ratschläge nicht leiden kann?“, erwidere ich gereizt. „Du weißt, dass ich deine mich betreffenden kritischen Bemerkungen nicht leiden kann?“, kontert er schnippisch. „Streitet nicht!“, mischt sich Rabatz ein und fragt mich: „Sortierst du nach Größe oder nach Gewicht?“ „Weder noch“, lache ich, „nach Priorität.“ „Wonach?“ „Nach Wichtigkeit.“ „Ach so. Sag das doch gleich.“ „Das Wichtige liegt oben, das Wichtigste davon zualleroberst, nach unten nimmt die Wichtigkeit ab.“ „Lass mal sehen“, sagen Ratz und Rabatz gleichzeitig und kommen näher, um die Stapelform annehmenden Zettel zu betrachten. „Käfig putzen“, lesen sie und legen fest: „Wichtig, nach oben.“ Als nächstes: „Dokumentationen schreiben - Was ist denn das?“ „Ich muss aufschreiben und abrechnen, was ich wann mit welchem Klienten bzw. welcher Klientin gemacht habe, sonst bekomme ich kein Geld.“ – „Oh! Kein Geld ist blöd! Sehr wichtig, ganz nach oben.“ – „Fenster putzen.“ – „Unwichtig, nach unten.“ – „E-Mails lesen und beantworten – ist das wichtig?“ – „Weiß ich nicht. Ich habe sie ja noch nicht gelesen.“ – „Hm, kommt in die Mitte.“ – „Nee, lieber so ein bisschen oberhalb der Mitte.“ – „Herumliegende CDs einsortieren.“ – „Das ist unnütz. Wenn du sie das nächste Mal hören willst, musst du sie ohnehin wieder rausnehmen.“ – „Diesem Argument folgend müsste man niemals irgendetwas aufräumen.“ – „Also was nun? Unter oder über Fenster-Putzen?“ – „Über.“ - „Überweisungen vornehmen.“ – „Das eilt nicht, sonst haben wir wieder nur noch so wenig Geld.“ – „Doch, das eilt, sonst erheben die Absender der Rechnungen Verzugsgebühren. Damit wir trotzdem genug Geld haben, muss ich ja die Dokumentationen schreiben.“ – „Also wohin nun?“ – „Na, so als vierten Zettel von oben.“ – „Spinnweben aus den Zimmerecken saugen.“ – „Vollkommen unwichtig! Wird geschreddert!“ – „Nein! Bisschen unwichtig, aber nicht vollkommen. Der Handwerker, der die Gastherme überprüfen kommt, nörgelt jedes Mal, wenn Spinnweben von oben in die Therme hängen.“ – „Der war doch gerade erst da.“ – „Kommt aber wieder.“ – „Mist!“ … Ich stoße die übereinander liegenden Zettel zurecht, damit der Stapel ordentlich aussieht, während Ratz und Rabatz scheinbar ziellos auf dem Tisch umherlaufen. „Sucht ihr noch etwas?“, frage ich. „Ja“, und in dem Moment fischt Rabatz einen versteckten Zettel unter der Postablage hervor: „Neue Notizzettel zuschneiden.“ Unzufrieden mit dem Inhalt schiebt er mir den Zettel zu. „Du hast dir keine einzige Erinnerung an unsere Fütterung geschrieben“, mault er. „Brauche ich nicht“, tröste ich ihn, „an die denke ich ohne Zettel. Außerdem findet ihr den Weg in die Küche allein.“ „Ja“, stimmt er mir zu, als er Ratz folgend schon auf dem Weg ist, „aber so ein Zettel würde doch eine wohlige Portion Wichtigkeit zum Ausdruck bringen.“ Ich greife sogleich nach einem noch leeren Zettel, schreibe „Ratten füttern“ darauf und lege ihn zualleroberst auf den Stapel.

Stoßgebet

„Na, du Energiebündel“, frage ich Rabatz, der wie wild und ohne ersichtlichen Grund zwischen diversen Zetteln mit überwiegend wichtigen Notizen – unwichtige pflege ich wegzuschmeißen – auf meinem Schreibtisch herumwuselt und alles durcheinander wirbelt, „was soll das Chaos hier?“ „Das frage ich mich auch“, antwortet er, „was soll diese Zettelei?“ „Ich schreibe mir immer alles auf, woran ich denken muss und was ich mir merken will, damit ich es nicht vergesse“, antworte ich. „Immer? Alles?“, fragt Rabatz nach. „Nein“, gebe ich klein bei, „nur meistens das Meiste.“ Ratz gesellt sich zu uns und hilft Rabatz dabei, das Unterste nach oben zu kehren. Plötzlich hält er inne, huscht mit seinen Äuglein die Zeilen auf einem der Zettel entlang, beißt hinein und zieht ihn zu mir: „Was steht denn da?“ „God, grant me the serenity to accept the things I cannot change, courage to change the things I can, and wisdom to know the difference”, lese ich vor. „Hä?”, fragen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Ja“, gestehe ich, „meine englische Aussprache lässt zu wünschen übrig.“ „Sag es deutsch“, erlaubt mir Rabatz. „Rette, was du für rettbar hältst, und lass den Rest entspannt den Bach runter gehen“, sage ich. Ratz schaut mich entsetzt an: „Das ist aber sehr frei übersetzt, oder?“ „Nein“, widerspreche ich, „sehr nicht, nur etwas.“

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Ziviler Ungehorsam gegen rechts

„Wonach suchst denn du?“, fragt mich Rabatz, als er neben den Laptop auf die Schreibtischplatte springt. Ich erschrecke ein wenig, weil ich mich nicht erinnern kann, den Käfig geöffnet zu haben. Er errät meine Gedanken und kommt meiner Frage zuvor: „Eine der Käfigtüren war nicht fest eingerastet. Ich wohne nunmehr seit ¾ Jahren bei dir und weiß, wie die Türverschlüsse funktionieren.“ „Ich mag Tiere, die schlau sind“, antworte ich, kraule seinen Nacken und sogleich gesellt sich auf der Suche nach Streicheleinheiten auch Ratz zu uns: „Und was suchst du nun?“ „Ich suche die Regelung, dass man in Briefen und E-Mails die Anredepronomen Du und Ihr nebst ihren deklinierten Formen wieder groß schreibt. Ich werde in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen und will die amtliche Bestätigung.“ „Och“, knurrt Ratz, „ständig neue formale Regeln für inhaltlich Gleichbleibendes.“ „Knurr du doch nicht“, murre ich, „ich bin’s doch, die schreiben muss.“ „Ich knurre, wann ich will“, mault er, „du bist immer so schlecht gelaunt, wenn du dich mit Dingen beschäftigst, die dich nerven.“ „Komisch“, sage ich mit leicht ironischem Unterton. Ratz überlegt kurz und gibt dann zu Bedenken: „Bestimmt verfügen eure Oberen nur deshalb ständig neue Formalien, damit ihr keine Zeit habt, selbstbestimmtes Leben zu organisieren. Sie halten euch auf diese Weise von zivilem Ungehorsam ab.“ „Du meinst, indem sie uns beschäftigen, sorgen sie dafür, dass wir das nicht mit ihnen tun? Nein“, gebe ich ihm Unrecht, „hinter dem Rechtschreib-Wirrwarr verbirgt sich dickes, fettes kommerzielles Interesse. Die Menschen sollen unentwegt neue Wörterbücher kaufen.“ „Vielleicht habt ihr ja beide Recht“, sagt Rabatz nachdenklich. „Ja, vielleicht“, nehme ich beider Gedanken auf und setze die Überlegung kurz darauf fort: „Die Vorgehensweise, Menschen, von denen man nicht beschäftigt werden will, zu beschäftigen, scheint jedenfalls geeignet. Gerade erst las ich*, dass die AfD zur Zeit mit Aufnahmeanträgen ehemaliger Mitglieder der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit beschäftigt ist...“ „Du bist doch hoffentlich nicht…“, schreit Ratz. „Nein“, besänftige ich ihn, „weder in irgendeiner Partei noch rechts noch populistisch… Aber wenn alle Linken, die keiner Partei angehören, Aufnahmeanträge an die AfD schicken – selbstverständlich ohne tatsächlichen Aufnahmewunsch – dann haben diese angeblichen Euro-Kritiker, die ihre Euro-Kritik gerne mit dem Hitler-Gruß verbinden, gut zu tun. Wir müssen die beschäftigen mit irgendwelchem Kram, der sinn- und harmlos, aber aufwändig ist, damit sie keine Zeit für die Verbreitung von Hass und Gewalt haben… Und meine Beschäftigung damit, ob die Anredepronomen Du und Ihr groß zu schreiben sind, lässt sich getrost vertagen, denn AfD-Verbrecher duzt man ja nicht.“ „Also das müssen wir jetzt erst einmal schlucken“, nuscheln Ratz und Rabatz leise in ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Wollt ihr etwas Salat und Nüsse dazu?“, frage ich. „Ja!“, rufen beide, springen vom Tisch und in Richtung Küche.

* Link zum Gelesenen

Montag, 7. Oktober 2013

Menschen mit Syndromen

„Was für einen Geruch bringst du denn mit?!“, fragen mich - ihre Näschen rümpfend - Ratz und Rabatz, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne. „Hier stinkt’s.“ „Ja“, gebe ich zu, „ich bin in der Hasenheide in Hinterlassenschaften von Hunden getreten. Einiges davon klebt noch unter meinen Schuhsohlen.“ „Was hast denn du in der Hasenheide zu suchen?“, erkundigt sich Rabatz. „Gesucht habe ich dort gar nichts“, antworte ich, „aber mit einer Klientin die Trampeltiere im Neuköllner Tierpark besucht.“

Trampeltiere im Neuköllner Tierpark

„Womit?“, fragt er. „Nicht womit! Mit wem. Mit einer Klientin“, sage ich. „Welch grauenvolles Wort!“, schimpft Ratz. „Klingt wie Verbrecherin!“ „Ja“, pflichte ich ihm bei, „du hast recht, das Wort ist scheußlich, aber ich weiß kein besseres. Nur eines weiß ich ganz sicher: Klienten sind keine Verbrecher! Menschen, die aufgrund von schwerer Krankheit oder Behinderung auf Hilfe und Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und gesellschaftlichen Teilhabe angewiesen sind, werden von denen, die diese Hilfe und Unterstützung anbieten, so sie nicht die Eltern, sonstige Verwandte, Freunde oder Bekannte sind, also von professionellen Anbietern, Klienten genannt.“ Ratz verdreht die Augen: „Derartig Absurdes können sich wieder nur Menschen ausgedacht haben!“ „Ja“, seufze ich, hole tief Luft und beginne eine längere Ausführung: „Nur weil jemand irgendetwas anders macht oder irgendwie anders aussieht als so genannte normale Menschen oder das eine oder andere nicht genauso kann, darf er nicht diskriminiert werden und das muss sich auch in der Sprache wiederspiegeln. Wann immer von Menschen, die anders sind, die Rede ist, müssen Wörter mit negativem Beigeschmack vermieden werden. An erster Stelle steht das Mensch-Sein. Es ist nicht mehr die Rede von behinderten bzw. schwer kranken Menschen oder gar – noch schlimmer - Behinderten bzw. Kranken in der substantivierten Form, ohne explizit zu erwähnen, dass es Menschen sind. Vielmehr sind es Menschen mit Besonderheiten oder etwas konkreter Menschen mit Behinderungen. So es sich um Menschen mit Behinderungen handelt, die noch im Kindes- oder Jugendalter sind und zur Schule gehen, spricht man von Schülern mit Förderschwerpunkten. Es gibt die Schwerpunkte körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sprache, Lernen, emotionale und seelische Entwicklung…“ „Und das“, fällt mir Ratz ins Wort, „hört sich jetzt irgendwie besser an als behindert?“ „Nö“, antworte ich. „Welcher Art Mensch mit Behinderung ist denn die Klientin, in deren Beisein du in der Hasenheide in hündische Hinterlassenschaften getreten bist? Welche Besonderheit hat sie?“, erkundigt sich Rabatz. „Sie hat das Down-Syndrom“, antworte ich. „Warum spricht man nicht einfach von Menschen mit verschiedenen Syndromen? Die einen haben Prader-Willi-, andere indes Asperger-, Aufmerksamkeits-Defizit-, Rett-, Apert-, Williams-Beuren-, Down- … oder eben Helfer-Syndrom?“, fragt Ratz. „Oh je“, stöhne ich, „jetzt wird es richtig kompliziert, zumal es auch noch Überschneidungen gibt, ein Mensch kann mehrere Syndrome haben. Und manch anderer ist ganz ohne irgendein Syndrom in seinen Möglichkeiten eingeschränkt… Also bevor ich weiter darüber nachdenke, widme ich mich erst einmal der Beseitigung ausgeschiedener Stoffwechselendprodukte, sowohl der hündischen von meinen Schuhsohlen als auch der eurigen aus dem Käfig.“ „Na, dann machen wir dir hier mal Platz“, sagen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und entschwinden in Richtung Küche.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Gentrifizierung anders herum – erst die Bewohner, dann das Quartier

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, welcher für euch und eure Artgenossen existenziell wichtige Prozess heute in Gang gesetzt wurde?“ … Auf meine Frage hin passiert zunächst weiter nichts, als dass zwei Ratten in der Küche verschwinden, auf die Ablage springen, wo das Gemüse liegt, und zu knuspern beginnen. „Ich habe eigentlich etwas mehr Interesse erwartet“, sage ich. Ratz kaut schnell hinunter und erwidert dann leicht verschnupft: „Existenziell wichtig! Pah! Wer hat denn wessen Existenz wo gesichert? Gibt es wieder irgendwelche neuen Startup-Designer-und-Mode-Irgendetwas zwischen Künstler-Cafés, wo vorher Ramschläden und Discounter waren? ... Du bist heute spät! Wir waren in unserer Existenz gefährdet! Das Futter im Käfig ist alle!“ „Hm … ja … also … das tut mir leid“, stammele ich, „aber eigentlich … Ja, du hast recht. Zu Beginn meiner heutigen häuslichen Abwesenheit ging es um Gentrifizierung. Ich habe an einer Führung durch den Wedding teilgenommen, während der Orte aufgesucht wurden, an denen man die derzeitige Verdrängung der angestammten Bevölkerung durch materielle und immaterielle Aufwertung bereits deutlich sehen kann: Am Ansehen des ehemals schlecht angesehenen Quartiers wird wegen seiner innerstädtischen und daher profitablen Lage so lange poliert, bis die nach wie vor schlecht angesehenen Menschen dort wegziehen, aus Kostengründen wegziehen müssen. Aber danach habe ich mich mit Charly und Maja getroffen und bevor sie mich zum Essen eingeladen haben, waren wir …“ „Du hast dich zum Essen einladen lassen“, entrüstet sich Ratz, „und wir hocken hier vor dem leeren Futternapf!“ „Lass sie doch erst einmal ausreden“, beschwichtigt ihn Rabatz, indem er ihm eines seiner Vorderpfötchen in den Nacken legt und mit seinem Mäulchen bzw. Schnäuzchen – ich weiß wirklich nicht, ob das bei Ratten Maul oder Schnauze heißt – sanft an einem Ohr knabbert, und fordert mich mit einem aufmunternden Blick zum Weitersprechen auf. „Danke, Rabatz“, sage ich und fahre fort: „Wir waren am Schäfersee und haben dort die wilden Ratten besucht und gefüttert und …“ „Gefüttert?!“, unterbricht mich Ratz kreischend. Ich schreie zurück: „Oh, Gift und Galle, jetzt halte doch einfach einmal deine Klappe!“ Das ist nun allerdings zu viel des Bösen. Ratz ist beleidigt und schmollt: „Ich habe ein Mäulchen bzw. Schnäuzchen, aber keine Klappe ... Du fütterst also fremde Ratten und uns lässt du darben.“ Ich nehme ihn auf den Arm und streichle ihn und sage: „Ihr bekommt auch Futter. Aber eigentlich will ich doch erzählen, was Maja heute am Schäfersee zum Bleiberecht eurer Artgenossen beigetragen hat. Es waren nämlich auch andere Menschen dort, allerdings nicht wegen der wilden Ratten, sondern den wilden Enten und Schwänen zuliebe. Und als zwei Mädchen fast auf eines der Rattennester getreten wären, hat Maja gewarnt: >>Vorsicht, da leben unsere Ratten!<< Eines der beiden Mädchen schrie sogleich: >>Ih, Ratten!<< Kurz darauf fügte es jedoch nachdenklich hinzu: >>Ich habe noch nie eine Ratte gesehen.<< Ihr könnt euch vorstellen, was Maja getan hat? Sie hat den Mädchen die Ratten gezeigt und ihnen erklärt, wie niedlich und lieb und schlau sie sind und dass sie dasselbe Existenzrecht wie Enten und Schwäne haben. Und ab jetzt werden die Mädchen, wann immer sie kommen, um die Enten und Schwäne zu füttern, auch für die Ratten etwas mitbringen.“ „Das ist schön“, gesteht Ratz und springt von meinem Arm zurück ins Gemüse. Rabatz gesellt sich kopfschüttelnd zu ihm und murmelt vor sich hin: „Wie kann man >>Ih, Ratten!<< schreien, wenn man noch nie zuvor eine gesehen hat?“ „Das verstehe ich auch nicht“, flüstere ich vor mich hin und Ratz fügt hinzu: „Maja hat das Ansehen von Ratten poliert, damit unsere wilden Artgenossen auch noch am Schäfersee leben dürfen, wenn demnächst dort ringsum ebenfalls alles gentrifiziert wird.“ „Ja, ja“, lache ich, „Ratten werden als hipp und total angesagt gelten. Zum Glück fliegt zur Zeit noch alle paar Minuten lärmend und Kerosin ausstoßend ein Flugzeug von oder nach Tegel über den Schäfersee und das wird auch so bleiben, bis der Schönefelder Flughafen seinen Flugbetrieb im anvisierten Umfang aufnimmt. Bevor also Stadtplaner und Quartiersmanager in Kooperation mit Kreativwirtschaftlern, Wohnungsvermietern und –verwaltern mit der Aufwertung des Quartiers am und um den Schäfersee beginnen können, bleibt für die Imagekampagne der Ratten genügend Zeit.“

Foto c/o Maja Wiens