Sonntag, 24. Juni 2018

Heiter geht’s weiter

"Wart ihr erfolgreich?", fragt Hinz, als ich nach Hause komme, den Rucksack abnehme und vorsichtiger als sonst am Boden abstelle. Er rüttelt etwas ungeduldig am Käfig, wohl weil ich nicht sofort reagiere, sondern erst noch Jacke und Schuhe ausziehe, aber das macht nichts. Der Reißverschluss des Rucksacks wird von innen aufgezogen, Gregor steckt grinsend seine gigantischen Vorderzähne nebst restlichem Kopf heraus, schiebt dann den übrigen Körper hinterher und hilft zwei zappeligen Rattenjungs raus. Das ist Antwort genug. Er streicht sich zufrieden die Schnurrhaare glatt und sagt: "Darf ich vorstellen? Mein Bruder in weiß heißt Igor, der mit grauem Fell Hektor." "Sehr angenehm", piepst Hinz höflich, "mein Name ist Hinz." Ich öffne den Käfig, wortlos beäugen und beschnuppern sie sich gegenseitig. Nach einer Weile unterbricht Hinz die Stille. "Wieso habt ihr eigentlich so altmodische Namen, die irgendwie nicht recht zueinander passen? Zwar haben sie im weitesten Sinne alle mit Wachen, Kämpfen und Kriegen zu tun, aber Igor stammt aus Skandinavien und ist heute in Russland verbreitet, Gregor und Hektor indes sind griechisch." Die beiden Kleinen hören vor Schreck auf, Hinz zu beschnuppern, und schauen ihn reglos an. Doch Gregor ist nicht aufs Mäulchen bzw. Schnäuzchen gefallen und kontert: "Was soll denn diese Frage?! Wieso müssen Namen zueinander passen?! Unsere Eltern wollten, dass wir brav sind und immer auf sie hören, dazu braucht's Ohren, also Greg-or, Hekt-or und Ig-or. Basta!" "Ähm", Hinz wirkt einen Moment lang etwas verlegen, "aber Ohren schreibt man doch mit h." "Oh, man ey!", stöhnt Gregor. "Unsere Eltern erzogen uns nicht schriftlich! Wir sind wilde Straßenratten! Wir haben es nicht so mit Bildung!" "Oje", seufzt Hinz leise, "das kann ja heiter werden." "Klar sind wir heiter!", rufen Igor und Hektor. Hinz lächelt versöhnlich.

Samstag, 23. Juni 2018

Fell Fadenschein – mehr Sein als Schein

"Guten Morgen", grüßt Gregor und stupst Hinz an. "Guten Morgen", erwidert Hinz. "Gut geschlafen?" "Fabelhaft", antwortet Gregor, reckt und streckt sich. "Und du?" "Naja, geht so", gähnt Hinz. "Klingt nicht sehr fröhlich", konstatiert Gregor und betrachtet seinen Artgenossen. "Was ist mit deinem Fell?", erkundigt er sich sogleich. "Fällt es aus?" "Ach", stöhnt Hinz, "sprich nicht davon. Das ist so, wenn man altert. Faden um Faden fallen die Haare aus, das Fell wird fadenscheinig." "Wem sagst du das?", fällt Gregor in das Gejammere ein, doch Hinz hält dagegen: "Deins sieht doch noch gut aus." "Auch ich bin nicht mehr der Jüngste", klagt Gregor. "Um die Jungen hätte ich mich kümmern müssen, doch habe ich sie verloren." Verzweifelt schlägt er die Vorderpfötchen über seinem Kopf zusammen. "Welche Jungen?", fragt Hinz erschrocken. "Na, meine Brüder, Hektor und Igor. Sie sind im täglichen Kampf ums Überleben spitzen Absätzen ausgewichen und waren plötzlich verschwunden." "Absätzen von Pumps und so? Du musst sie suchen, deine Brüder!", schreit Hinz aufgeregt. "Ja, aber wie? Wo?", schluchzt Gregor ratlos. "Aufmerksam und mit weit offenen Augen. So viel zum Wie", erklärt Hinz, der seine Fassung schnell wiedererlangt hat. "Am besten von Miriams Jackentasche aus und zwar genau dort, wo der Kampf der Damenschuhe gegen deine Brüder stattgefunden hat." "Du meinst, sie kehren zum Ort des Geschehens zurück?", schnieft Gregor. "Auf jeden Fall", versichert Hinz. Und mit den Worten "Wann gehen wir los?" wendet sich Gregor dann unvermittelt an mich. Ich blicke kurz zum Fenster auf und nach draußen, bevor ich verspreche: "Sobald es aufhört zu regnen."

Freitag, 22. Juni 2018

Grantiger Griesgram Gregor Grummelig

Gregor

"Na", frage ich Hinz, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack fallen lasse und zu ihm in den Käfig schaue, "willst du wissen, wen ich unterwegs gefunden habe?" Keine erkennbare Reaktion seinerseits. Er bleibt in sich zusammengerollt und weitestgehend bewegungslos liegen, wie er liegt, hält die Augen geschlossen und wirkt irgendwie apathisch. Erst als ich den Käfig öffne und Käse reiche, regt er sich. "Du willst wirklich nichts über deinen Artgenossen erfahren, der mir zugelaufen ist?", erkundige ich mich. Hinz spitzt die Ohren. "Ein neuer Kumpel?", fiept er. "Naja", erwidere ich, "ob es ein Kumpel wird, bleibt abzuwarten", und ziehe Gregor aus meiner Jackentasche. "Iih!", kreischt Hinz entsetzt. "Was heißt hier iih?!", entfährt es mir. "Der sieht ja grauenvoll aus mit seinen Biberzähnen!", schreit er. Gregor indes, der gerade begonnen hatte, sich für Hinz zu interessieren, zuckt gekränkt zusammen. "Von wegen grauenvoll", grollt er und gesteht: "Grantig und griesgrämig – das ja. Was ein Leben als Grenzgänger in grässlichen Zeiten so aus einem macht." "Aber grauenvoll, weil meine Zähne etwas größer sind als üblich?!", schimpft er, "Grauenvoll nimmst Du zurück!" "Du bist ein Grenzgänger?" Hinz' Neugier ist geweckt. "Auf welcher Grenze gehst du?" "Ich bin eine Ratte", antwortet Gregor – noch immer beleidigt, "suche aber auch Nähe zu Menschen." "Oh", staunt Hinz, "das macht dich sympathisch! Gewissermaßen sind wir uns ähnlich." Er reicht ihm ein Pfötchen mit den Worten: "Ich heiße Hinz. Und entschuldige bitte, dass ich dich grauenvoll genannt habe!" "Schon gut", grummelt Gregor, greift nach dem Pfötchen des anderen und sagt: "Gregor." "Sei willkommen, grantiger Griesgram Gregor Grummelig!", spricht Hinz sehr würdevoll und teilt sogleich den Käse in drei Stückchen: eins für Gregor, eins für sich und eins für später.

Sonntag, 10. Juni 2018

Trauerfeier im Jenseits

"Wo ist Kunz?", fragt mich Hinz, nachdem ich den Müll aus der Wohnung und anschließend die leeren Eimer zurück an ihren Platz unter dem Spülbecken gebracht habe. "Ich wusste, dass du mich das auf diese unumwundene und direkte Art fragen würdest", stöhne ich, was allerdings nicht die Antwort auf seine Frage ist. Eine Gesprächspause entsteht und hält an, bis er schnippisch konstatiert: "Dann hättest du mir die Antwort im Grunde genommen schon geben können, bevor ich die Frage überhaupt gestellt hatte." "Nein", kontere ich, "dazu ist die Sache zu kompliziert." "Kompliziert?", hakt er nach, "was ist daran kompliziert? Wo hast du Kunz hingetragen?" "Nach draußen", gebe ich knapp Auskunft. "Geht es etwas genauer?", erkundigt er sich unwirsch. "Also gut", setze ich zögerlich zu etwas mehr Ausführlichkeit an, "ich habe die Schachtel, in der er ruht, mit einem Deckel verschlossen und dann in die Mülltonne gelegt. Das heißt..." Hinz fällt mir erregt ins Wort: "Er ist, nachdem er die Lebens- sowie im Zusammenhang damit die Fresslust und infolgedessen innerhalb kurzer Zeit auch massiv an Gewicht verloren hatte, von uns gegangen, wie Menschen das auszudrücken pflegen, und seine sterblichen Überreste liegen nun im Müll." "Ja", pflichte ich ihm bei, "nicht einfühlsam formuliert, aber so ist es." Hinz blickt mich außerordentlich vorwurfsvoll an. "Okay", seufzt er, "aber wenigstens ist seine Seele jetzt im Rattenhimmel." "Woher weißt du das?", will ich wissen. "Das schmecke ich an diesem Salatblatt", erklärt er mir und beißt vom Rucola ab. "Knut hat gekocht und gleich tafeln sie gemeinsam: Rabatz, Ratz und Fatz, Risiko-Paula, Dumba, Dumbi und Mini-Dumba, Dachs, Max und Moritz, Rosa, Kunz… Knut natürlich auch. Alle, die nicht mehr hier sind."