Dienstag, 31. Dezember 2013

Ohrenbetäubender Lärm

Rabatz sitzt auf meinem Schoß, Ratz sitzt auf meinem Schoß, beide zucken synchron bei jedem Böller zusammen und krallen sich in meinem Pullover fest. „Ich kann es nicht leiser machen“, sage ich. „Wir müssen das jetzt bis in die frühen Morgenstunden noch irgendwie aushalten.“ „Aber“, jammert Rabatz, „was soll das? Wozu?“ „Böse Geister vertreiben“, versuche ich zu erklären, ohne selbst zu glauben, was ich aussprechen will, und Ratz fällt mir erregt ins Wort: „Uns will man, scheint’s mir, vertreiben! Sind wir böse Geister?“ „Nein, seid ihr nicht“, besänftige ich ihn und streichle beide. „Wie wohl Dumbi und die vier Babys von ihr und mir das aushalten?“, seufzt Rabatz. „Bei Dumbi und den Kleinen ist es nicht so laut“, tröste ich. „Sie wohnen im zweiten und nicht im Erdgeschoss, außerdem hat Majas Wohnung Lärmschutz-Fenster.“ „Und warum unsere nicht?“, nörgeln Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Hm“, entfährt es mir und ich zucke mit den Schultern. „Niedrigster Wohnkomfort in schlechtester Wohnlage halt.“ „Warum?“, fragen mich Blicke aus zwei Augenpaaren anklagend und Ratz fügt sogleich hinzu: „Ich denke, hier wird gentrifiziert?“ „Ja, ja“, pflichte ich ihm bei, „aber das Haus, in dem wir wohnen, war noch nicht dran. Sei froh, sonst müsste ich entweder mehr arbeiten oder es gäbe billigeres Essen.“ „Apropos Essen“, ereifert sich Rabatz, besinnt sich aber sogleich und spricht zaghaft wispernd weiter, wenngleich mit schmollend verzogener Oberlippe: „Es gab schon ziemlich lange kein Ratten-Premium-Futter mehr, immer nur diesen billigen Nager-Mix.“ „Ach ja, euch geht es schrecklich schlecht“, heuchele ich Verständnis und Rabatz versteht, ohne dass ich weiterrede, genau, was ich meine. „Nee, nee“, gibt er klein bei. „Gerade erst hat Gaja uns zu Weihnachten einen mit Nüssen gefüllten Rattenfutter-Automat geschenkt. Über unzureichende Ernährung können wir uns wahrhaftig nicht beschweren… Aber“, und er beginnt mit schriller werdender Stimme erneut zu klagen: „Heute ist es hier zu laut!“


Unübliches Umräumen

„Warum stehst denn du mit deinem Wecker in der Hand hier im Weg herum?“, fragt mich Ratz mit leicht spöttischem Unterton, als wir uns etwa mittig zwischen den Türen von Bad und Küche vorm Schrank im Flur treffen. „Irgendwo muss ich schließlich sein“, antworte ich, „und zum Sitzen ist im Flur zu wenig Platz, also stehe ich.“ „Ja, schon“, erwidert Ratz, „aber warum mit Wecker?“ „Ich überlege, ob ich ihm dauerhaft einen Platz im Bad zuweise“, erkläre ich. „Hä?“, tönt Rabatz‘ Stimme aus dem Zimmer. „Nun ja“, setze ich meine Ausführung fort, „wenn im Bad eine Uhr ist, muss ich, wann immer ich mich körperpflegenderweise auf ein bevorstehendes Verlassen der Wohnung vorbereite, nicht immerzu zwischendurch zur Wanduhr in die Küche laufen, um zu schauen, wie viel Körperpflege – rein zeitlich betrachtet – noch möglich ist.“ „Überzeugende Logik“, räumt Ratz ein, gibt jedoch kurz darauf zu Bedenken: „Wäre es nicht klüger, den Wecker immer dorthin mitzunehmen, wo du ihn gerade brauchst? Wenn du dich wäschst, ins Bad, wenn du schläfst, ans Bett?“ „Diese Option habe ich zu Beginn meiner Überlegung durchaus erwogen, dann aber für lediglich eingeschränkt gut befunden“, kontere ich, „denn ein Wecker, der dauerhaft im Bad steht, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe.“ „Na, das muss aussehen: ein mit einer Klappe nach zwei Fliegen um sich schlagender Wecker!“, wirf Ratz ein. „Ich schlage dich gleich!“, drohe ich ihm scherzhaft und fahre dann, ohne meine Worte in die Tat umzusetzen, fort: „Wenn der Wecker im Bad steht, weiß ich wie gesagt auch dort stets die Uhrzeit und zweitens muss ich, wenn er morgens klingelt, um ihn ausschalten zu können, erst aufstehen, danach durch den Flur bis zu ihm tappen, bin dann ganz sicher wach und obendrein gleich da, wo ich als erstes hinmuss: Toilette.“ „Hört sich nach einem funktionierenden Plan an“, kichert Rabatz. „Wenn du noch schlaftrunken und ohne Brille durch den dunklen Flur stolperst, stößt du dich an sämtlichen verfügbaren Schrankecken und Türklinken derartig, dass du anschließend auf jeden Fall wach bist, aber etwas unüblich ist ein Wecker im Bad schon.“ „Seit wann interessieren wir uns für Üblichkeiten?“, flüstere ich mehr vor mich hin, als dass ich tatsächlich eine Antwort erwarten würde. „Freundschaft zwischen Ratten und Menschen ist schließlich noch viel unüblicher als ein Wecker im Bad und doch alles andere als betrüblich, oder?“ Stille für einen Moment. „Ist nicht das Übliche oft das Betrübliche?“, reimt Ratz. Und auch seine Frage ist rein rhetorischer Art.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Endlich Vater!

Hallo Welt,

ob Du es glaubst oder nicht, so sieht ein Rabatz aus,



der am 18. Dezember 2013 Vater geworden ist.
Miri muss ihn festhalten, damit er nicht von seinen Gefühlen überwältigt in ihnen ertrinkt.

Es grüßt Dich

Dein Rabatz


Liebe Dumbi,

ich denke sehr an Dich. War es eine schwierige Entbindung oder lief sie unkompliziert? Du musst nicht sofort auf diese Frage antworten. Auch nicht auf die nach der Anzahl der Kinder, die ich sinnvollerweise noch gar nicht stelle. Wahrscheinlich sind die Kleinen miteinander zu einem zappelnden Knäuel verknotet und lassen sich überhaupt nicht zählen. Du hast jetzt alle Pfoten voll zu tun, Dich um unsere Kinder zu kümmern, und keine Zeit, Fragen zu beantworten. Ich will Dich nur wissen lassen, dass ich das irgendwann demnächst (so schnell wie möglich) gern erführe.

Dein Rabatz

P.S.: Sind alle gesund? Wie viele Jungs sind es?


Liebe Kinder,

Miri wollte ihre alten Fahrradhandschuhe mit Löchern, nachdem sie sich neue ohne Löcher gekauft hatte, wegschmeißen. Das habe ich verhindern können. Diejenigen von Euch, die in ein paar Wochen bei Miri, Ratz und mir einziehen, werden also das weichste und kuschligste aller denkbaren Schlaflager vorfinden.

Euer Papa


Liebe Maja,

danke für die viele Arbeit im Zusammenhang mit Deiner nebenberuflichen und unbezahlten Tätigkeit als Ratten-Hebamme.

Miri

Dienstag, 17. Dezember 2013

Aufräumen

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was ich vorhabe?“ „Ja“, antworten beide wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Ich räume jetzt auf“, sage ich. „Hä?“, erwidern sie und schauen mich ziemlich entgeistert an. „Starrt mich nicht an, als wäre ich soeben vom Mars gefallen, und steht mir vor allem nicht im Weg“, weise ich sie zurecht, während ich meine Schuhe von den Füßen streife und die Jacke ausziehe. „Ihr habt sehr richtig verstanden: Ich räume auf.“ „Du beabsichtigst genau was?“, vergewissert sich Rabatz. „Du räumst auf?“ „Man kann das auch Ausmisten nennen“, werde ich genauer. „Wo bitte“, mischt Ratz sich ins Gespräch, „liegt hier Mist?“ „Mensch, Ratz“, stöhne ich leise, „musst du mich immer nachmachen? Nimm nicht alles wörtlich und leg nicht jedes Wort auf die Goldwaage.“ „Erstens“, kontert Ratz, „bin ich kein Mensch. Darauf muss ich mit Nachdruck hinweisen, das hat nichts mit übertriebenem Beharren auf wörtlicher Genauigkeit zu tun. Zweitens: Um welche Goldwaage geht es? Haben wir Gold?“ Er versucht ein Grinsen zu unterdrücken, was ihm allerdings so gründlich misslingt, dass ein Strahlen daraus wird.


Ich stupse ihn freundschaftlich mit meinem Fuß gegen den Bauch und schimpfe liebevoll: „Geh zur Seite! Genau da, wo du gerade sitzt, will ich nämlich den Schuh mit eingerissener Sohle, die Fahrradhandschuhe mit Löchern, den Rucksack mit geplatzter Naht, die verschimmelten Kastanien und noch so dies und das, was hier herumliegt, obwohl es längst in den Müll gehört, auftürmen, bevor ich es dann – sortiert nach Öko, Wertstoff, tatsächlich Müll - hinaustrage und in die entsprechenden Tonnen auf dem Hof werfe.“ „Nee, nee, nee, nee, nee“, mahnt Rabatz, als ich schon dabei bin, die Sachen in den Flur zu werfen, „das lässt du mal schön sein. Den Rucksack hängst du bitte wieder an die Türklinke zurück. Oder ist dir nicht aufgefallen, dass ich sehr gerne in ihm schaukele? Die Fellhandschuhe packst du in die Kiste mit dem ganzen Ratten-Versorgungskram, denn wenn zwei oder drei meiner Söhne hier einziehen, sobald sie von Dumbi endlich geboren und etwas später fertig gestillt sein werden, können sie sich darin einkuscheln. Kleine Ratten mögen es bekanntlich warm und weich.


Der Schuh gehört schon heute in den Käfig, der hat genau meine Größe; ein weiches Tuch zum Auspolstern wäre nicht schlecht…“ Rabatz hoppelt zum Mülleimer und zieht einen verdreckten fahrradöligen Putzlappen heraus. Ich seufze. Rabatz sieht mich aufmunternd an und gestattet mir sogleich: „Na ja, die ollen Kastanien kannst du wegschmeißen.“ „Okay“, gebe ich mich geschlagen, stelle den kaputten Schuh in den Käfig, werfe den öligen Putzlappen dazu, hänge den alten Rucksack an die Türklinke, lege die löchrigen Fahrradhandschuhe in die Ratten-Versorgungskram-Kiste und schmeiße die schimmligen Kastanien in den Öko-Mülleimer. „Dann können wir nun zu Abend essen.“ „Käse!“, ertönt der Schlachtruf. „Nein“, korrigiere ich, „habe ich nicht gekauft. Heute gibt es Obst.“ „Obst!“, rufen zwei Ratten freudig aus und folgen mir in die Küche.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Zwölflinge?

Liebe Dumbi,

ich habe mitgelesen, als Miri, mein Frauchen, die E-Mail von Maja, Deinem Frauchen, über Dich, Dumbi, gelesen hat. Was erfahre ich? Es scheint so, als hättest Du zugenommen, Maja ist sich allerdings nicht ganz sicher und für den Fall, dass sie sich nicht irrt, ist noch unklar, ob das an zu viel Schokolade, die Du verputzt hast, oder an unseren Liebesspielen liegt? Von welcher Schokolade solltest Du denn Rundungen bekommen haben? Der Verfressene von uns beiden bin doch ich! Ich bekenne mich schuldig an Deinem sich ändernden Leibesumfang, so man in einem solchen Fall von Schuld sprechen darf. Majas Drohungen, sich an ein von Gaja neu zu gründendes Jugendamt zu wenden sowie Charly eine neue Illustrierte mit der reißerischen Schlagzeile „Grauer Vater lässt weiße Mutter mit 12 hungrigen Säuglingen sitzen“ auf der Titelseite der ersten Ausgabe auf den Markt werfen zu lassen, so ich keine Alimente zahlen sollte, entbehren jeglicher Grundlage. (Als gäbe es noch nicht genügend Jugendämter bzw. Illustrierte!) Ich werde meinen Vaterpflichten nachkommen, bis unsere Kinder bei Dir ausziehen. Aber ist Majas Einschätzung, dass es 12 sind, realistisch?

Vorsorglich habe ich Miri schon einmal „Nüsse“ mit auf den Einkaufszettel geschummelt und ihr ist offenbar nicht aufgefallen, dass der Eintrag nicht von ihr stammt. Jedenfalls hat sie nicht genörgelt, sondern gekauft.


Ich soll lieb von Ratz grüßen.

Alles Gute Dir,

Dein Rabatz

P.S.: Sonnige Grüße durch die dezembrige Dunkelheit aus dem Wedding nach Pankow auch an Maja und Charly!

Samstag, 7. Dezember 2013

Verkehrsverbund Berlin Brandenburg (VBB)

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, warum ich grauenvolle Laune habe?“ „Du bist spät dran“, beschwert sich Ratz. „Eigentlich müsstest du wissen wollen, warum wir schlecht gelaunt sind.“ „Beides hängt miteinander zusammen“, erwidere ich und werfe schwungvoll die neueste Print-Ausgabe des „navi – Navigationshilfe für Linienänderungen wegen Baumaßnahmen und Veranstaltungen“ auf den Tisch. „Seit Anfang Oktober geht das jetzt so. Für jeden meiner Wege, die ich ganz oder teilweise mit U- oder S-Bahn zurücklege, muss ich in Abhängigkeit davon, wie lang er ist, 15 bis 30 Minuten mehr Zeit einplanen. Erst wird die Linie U6 wegen des Baus der Linie U5 unterbrochen, dann auf der Linie S2 zwischen Priesterweg und Marienfelde neues Gleis verlegt, jetzt im Nord-Süd-Tunnel… Ich sehe ja ein, dass die Züge nicht fahren können, wenn gerade die Schienen herausgerissen und Bauarbeiter auf den Strecken sind, aber wenn mich dann auch noch diese Cindy (angeblich) aus Marzahn von allen Plakatwänden und aus dieser Fahrgastinfo“ – ich zeige auf das „navi"-Heft – „angrinst und verkündet, dass es für jeden neu geworbenen Abonnenten der VBB-Umweltkarte 40,- € Prämie gibt, dann krempeln sich mir doch die Mageninnenwände nach außen! Jeder, der bereits Abonnent ist, den bezahlten Service aber nicht bekommt, müsste mit 40,- € monatlich entschädigt werden…“ Ich will eigentlich noch weiter schimpfen, jedoch hüpft Rabatz auf meine Schulter, legt mir eines seiner Vorderpfötchen auf den Mund und sagt leise, aber bestimmt in mein Ohr: „Ist doch gut. Jetzt bist du ja da.“ Ich verstumme also, Rabatz springt zu Ratz auf den Fußboden, beide schauen mich erwartungsvoll an und fragen auf diesem nonverbalen Wege: „Hast du Essen mitgebracht?“ Ich nicke. „Käse?“, forschen sie weiter. Ich nicke erneut und zu dritt begeben wir uns in die Küche. Kurz darauf macht Ratz etwas Verbotenes, er spricht nämlich mit vollem Mäulchen bzw. Schnäuzchen: „Wenn die Verkehrsbetriebe für jeden neuen Abonnenten 40,- € bezahlen und du monatlich 40,- € von denen bekommen willst, musst du doch nur jeden Monat einen Abonnenten werben.“ „Äh, nö“, antworte ich. „Ratz, da liegt jetzt ein gewaltiges Missverständnis vor.“

Sonntag, 1. Dezember 2013

Eifersucht

„So, ihr zwei“, frage ich, als ich nach ihrem 1wöchigen Besuch bei Dumbi mit ihnen wieder nach Hause komme, ihre Transportbox öffne und sie in den Käfig setze, „wollt ihr wissen, was ich jetzt wissen will?“ Auf meine Frage hin verschwindet Ratz im Versteckhaus aus Duplo-Bausteinen, Rabatz indes setzt sich neben eben dieses Haus, um nicht zu behaupten, er klemmt sich sehr ungemütlich zwischen Käfig- und Hauswand, schaut von außen durch das Fenster zu Ratz hinein und beide fiepen und fauchen sich gegenseitig auf das Heftigste an. „Aha“, sage ich, „Ratz ist sauer, weil Rabatz mit Dumbi kuscheln durfte und er nicht, und Rabatz ist sauer, weil Ratz jetzt nicht mehr sein Freund ist… Also diesen Konflikt müsst ihr ohne meine Hilfe unter euch austragen.“ Die beiden Rattenmänner kommen meiner Aufforderung folgsam nach, brauchen für das Austragen allerdings noch die ganze Nacht und einen nicht geringen Teil des auf sie folgenden Morgens. Erst nachdem sie vom Frühstücksspaziergang aus der Küche in den Käfig zurückkehren, geben sie Ruhe. Sie sind fertig. Fix und fertig. Ratz zitiert – leicht abgewandelt – die Weihnachtsgans Auguste: „Lass nur gut sein, lass nur gut sein, Hauptsache ich kann in die Tüte rein.“ (Er liebt es, in einer leeren Haferflockentüte zu liegen.) Und nach diesen von ihm leise, aber dennoch unmissverständlich gesprochenen Worten schlafen beide ein.

Ratz am 1. Advent in seiner geliebten Tüte

Mittwoch, 27. November 2013

Nachwuchs in Sicht?

„Da steht ein Haus [...], ein Häuschen, kein großes Haus, doch auch kein Zelt, ein Häuschen.“ (Samuil Marschak „Das Tierhäuschen“)

Lieber Ratz, lieber Rabatz,

was treibt Ihr so bei Maja und Dumbi? (Und bei C., der der ganzen Sache aber eher skeptisch gegenübersteht.) Oder sollte ich besser fragen, wie Ihr es treibt? Bunt? Eintönig klingt das, was Maja mir schildert, jedenfalls nicht.
Bei Rabatz' und Dumbis Hochzeit am letzten Sonntag war ich ja zugegen. Da von Menschen arrangiert, die ihr Tun vorab nicht mit Euch besprochen hatten, kam die für Euch wohl viel zu überraschend, als dass Ihr erwartungsgemäß in die Euch zugedachten Rollen, die da gewesen wären Braut, Bräutigam und Trauzeuge, hättet schlüpfen können.
Aber nun, nachdem Rabatz und Dumbi – wenngleich im selben Käfig – zunächst noch in getrennten Betten geschlafen haben, sich zwar ab und an tief in die Augen schauten, fiepten, erneut fiepten, im Käfig einander hinterher jagten, dann aber wieder nur schliefen (getrennt), scheint ja alles recht schnell zu gehen...
Was entnehme ich Majas E-Mail? Ein grauer Rabatz und eine weiße Dumbi liegen zusammen im selben Haus und das Haus ist sehr klein?
Entstehen grau-weiß-gestreifte Babys? Zebra-Rättchen?
Und was sagt Ratz eigentlich zu dem Treiben der beiden anderen?
Na, Ihr werdet zu erzählen haben, wenn Ihr nach Hause kommt.
Euer Käfig in meinem Zimmer ist momentan entschieden zu leer... Eine Spinne war kurzzeitig eingezogen, ich habe sie entfernt.

Es grüßt Euch

Euer Frauchen

P.S.: Ein kleines bisschen ist es aber auch gut, dass Ihr nicht hier seid, denn ich kann von Euch unkommentiert, also ganz in Ruhe, den Adventskalender für meine Lieblingstochter basteln. Gerade eben hat mir der DHL-Bote eine vorletzte Zutat geliefert, versehen mit dem beruhigenden Hinweis, dass ich mit ihrem Erwerb nicht gegen geltendes Recht verstoßen habe.

Beweisphoto

Samstag, 23. November 2013

Diskussion ums Nest-Material

„Na, ihr zwei“, sage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und den Käfig öffnen will, halte dann aber - das Tun der beiden Rattenböcke nicht gut heißend - einen Moment inne und frage kurz darauf: „Wieso schmeißt denn ihr die Zeitungschnipsel alle nach draußen?“ „Die sind unerträglich“, erklärt Rabatz und schaut Ratz seitlich an. „Jawohl“, bestätigt der, „daraus kann man kein kuscheliges Nest bauen, aus diesem Koalitionspoker. Unerträglich! Höhere Krankenversicherungsbeiträge, schön und gut, aber nicht zu Lasten der Arbeitgeber. Pflegereform, schön und gut, aber nicht mit Steuergeldern. Mindestlohn, schön und gut, aber nicht für alle… Die sind doch nicht ganz dicht, diese Christsozialen, Christdemokraten, Sozialdemokraten, wie sie sich nennen! Zwei Mal das Christliche, zwei Mal das Soziale und zwei Mal das Demokratische tragen sie insgesamt in ihren drei Namen! Klingt sehr vielversprechend! Und was tun sie? Oh, traue niemandem!“ Ich lege einen meiner zwei Zeigefinger senkrecht über meine Lippen und bedeute ihm damit Ruhe. „Du hast bestimmt Recht“, gebe ich voller Zynismus scheinbar klein bei. „Ich habe irgendwelches Papier geschreddert und nicht auf Zumutbarkeit geachtet. Was hättest du denn lieber? Das iranische Atomprogramm? Ertrunkene afrikanische Flüchtlinge? Die Euro-Krise? Die gescheiterte Klima-Konferenz?“ „Halt deine Kla…“, will Ratz mich auffordern, kann den Satz aber nicht beenden, weil Rabatz ihm mit den Worten „Hast du nichts Schönes zum Lesen?“ sein Mäulchen bzw. Schnäuzchen zudrückt. „Doch, selbstverständlich“, antworte ich und zeige auf die Bücherregale an den Wänden. „Ihr erwartet hoffentlich nicht, dass ich euch meine Bücher schreddere?“ Ratz befreit sein Sprechwerkzeug aus Rabatz‘ Umklammerung und gibt sich gönnerhaft: „Erwarten dürfen wir das wohl nicht, aber schön wäre es… Das heißt, eigentlich genügt es, wenn du einige Seiten herausreißt, schreddern musst du sie nicht.“ „Ratz“, stöhne ich leise, „wie gut, dass Rabatz und du ab morgen eine Woche zu Maja und Dumbi geht!“ „Zu Maja und Dumbi?“, rufen Ratz und Rabatz freudig wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Zu Maja mit den Photoapparaten und Dumbi mit dem weißen Fell?“ „Genau“, bestätige ich ihnen. „Zu Maja und Dumbi in der Wohnung mit noch viel mehr Büchern als in unserer.“

Freitag, 22. November 2013

Ratz, aufgenommen mit ST72


An der neuen Kamera lassen sich interessante Einstellungen vornehmen. Die hier verwendete - herumspielend und ausprobierend irgendwelche Knöpfe drücken - nenne ich Gemälde, gibt es allerdings laut Benutzerhandbuch nicht.

O-Ton Ratz zum Thema (leicht grummelig): „Lieber vom Leben gezeichnet als von Miriam photographiert.“

Dienstag, 19. November 2013

Traurig

„Geh schlafen“, wispert Rabatz mir durchs Käfiggitter zu, nachdem unser aller heutiger Ausflug in die Küche längst hinter uns liegt. „Du liest doch gar nicht mehr, hältst das Buch nur noch fest.“ „Ich bin nicht müde“, erwidere ich. „Dann lies“, sagt er. „Kann nicht“, seufze ich, „bin traurig.“ Ratz horcht auf: „Was ist denn passiert?“ „Jede Menge. Lies doch selber Zeitung!“, werde ich grantig. „Sei nicht so garstig!“, schimpft er. „Ich will wissen, warum du traurig bist.“ „Und ich auch“, beeilt sich Rabatz hinzuzufügen. Ich öffne den Käfig, die beiden springen in meine Arme, Rabatz knabbert ein wenig an dem Gipsverband, in dem der linke steckt, und fragt: „Ist es deshalb?“ „Quatsch!“, antworte ich. Zwei Ratten schauen mich aus vier Augen fragend an. „Mein Lieblings-Klient liegt im Krankenhaus“, flüstere ich. „Das ist doch aber nicht deine Schuld“, versuchen Ratz und Rabatz mich wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen zu trösten. „Natürlich nicht“, pflichte ich ihnen bei, „aber lasst mich bitte trotzdem traurig sein.“ Zwei Ratten schmiegen ihre Köpfchen an meine Schulter.

Sonntag, 17. November 2013

Das Warten hat ein Ende

Speicherkarte Nr. 2 wurde zugestellt und passt in die neue Kamera. Nun müssen sich alle noch miteinander anfreunden, die Kamera und die Ratten, die Kamera und ich.




O-Ton Ratz zum Thema (sehr beleidigt auf Rabatz deutend): „Das ist wieder einmal typisch! Unscharfe Nokia-Bilder machst du von mir, scharfe Samsung-Photos von dem da.“ 

Im Unrecht ist er, denn ich konnte ihn nicht photographieren, obwohl ich wollte, er hatte sich verkrochen.

Mittwoch, 13. November 2013

Warten

Warten auf die Zusendung einer Micro-SD, denn die erworbene SD ohne Micro erwies sich als Fehlkauf, passt nicht in den Micro-Steckplatz der neuen Kamera und ohne passende Speicherkarte ist kein Ausprobieren möglich, ob mit der neuen Kamera bessere Fotos als mit der im alten Nokia-Handy gelingen...


Warten, warten, warten...

O-Ton Ratz zum Thema: „Ich finde, ich bin auch unscharf hübsch.“

Recht hat er.

Streit mit anschließendem Nicht-mehr-Streit

„Sagt mal, habt ihr nicht mehr alle Tassen im Schrank, Rad ab, Schraube locker, Verstand verloren!“, schimpfe ich, als ich nach Hause kommend meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und zum Rattenkäfig gehe, aus dem ohrenbetäubendes Gezeter dringt. „Warum macht ihr derart entsetzlichen Krach und - vor allem - warum wedelt ihr die halbe Ladung Käfigstreu durchs Gitter nach draußen?!“ „Das sind immer so Fragen!!!“, kreischt Ratz, „ich hoffe, du meinst die rhetorisch und erwartest keine Antworten!“ „Doch, eigentlich schon!“, brülle ich. „Was!“ schreit Ratz, „wir müssen uns hier um die letzte Nuss zanken und dabei auch noch aufpassen, dass wir nicht in die Kacke des jeweils anderen treten, weil du uns ewig nicht Futter gibst und nur mal so gelegentlich hin und wieder den Käfig säuberst, und dann willst du auch noch Antworten?! Ausgerechnet du?!“ Erschöpft lasse ich mich in den Sessel fallen und sage: „Also Futter bekommt ihr heute noch, aber Käfig-Putzen ist erst morgen wieder dran.“ „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“, plärrt Ratz. „Doch, doch“, erwidere ich, „und wenn du nicht gleich Ruhe gibst, gibt’s heute nicht nur keine neue Einstreu, sondern auch keinen Spaziergang in die Küche.“ Ratz, der gerade noch etwas ausposaunen wollte, verstummt, lässt aber vor Entsetzen sein Mäulchen bzw. Schnäuzchen offen. „Ich bin müde“, sage ich, „und heute erledige ich nur noch eines, und zwar euch Futter zu geben.“ Ich öffne den Käfig, Rabatz kommt zu mir kuscheln und wispert: „Unser Futter suchen wir uns in der Küche alleine. Du musst nur eines tun, nämlich den Käfig putzen.“ „Käfig-Putzen“, entgegne ich, „ist nicht eines, das sind dreizehn:

01. Von oben nach unten von allen Zwischenetagen und aus dem Sputnik systematisch alle Essenreste und, was ihr sonst noch so hinterlasst, nach unten in die Käfigschale fegen,

02. die Zwischenetagen und den Sputnik auswischen,

03. das obere Käfigteil abheben,

04. das untere Käfigteil abheben,

05. euer Versteckhaus aus Duplo-Bausteinen vorsichtig, damit es nicht auseinanderfällt, aus der Käfigschale heben,

06. die verdreckte Streu und die nasse Zeitung, getrennt nach Papier- und Hausmüll, entsorgen,

07. die Käfigschale auswischen,

08. die Käfigschale mit neuem Papier auslegen und frische Streu einfüllen,

09. das Duplo-Haus wieder hineinstellen,

10. das untere Käfigteil aufsetzen,

11. das obere Käfigteil aufsetzen,

12. geschreddertes oder sonst irgendwie in kleine Stücke gerissenes Papier und Stofffetzen in den Käfig werfen,

13. diverses daneben Gefallenes vom Fußboden aufsaugen.“

„Aber“, und Rabatz schaut mich herzerweichend an, „hast du uns lieb oder hast du uns lieb?“ „Na, das nenne ich Suggestivfrage!“, antworte ich. „Doppelte Suggestion! Natürlich habe ich euch lieb.“ „Gut“, atmet er erleichtert auf, „du schaffst also dreizehn. Und falls doch nicht, zur Not kannst du ja den letzten Arbeitsschritt weglassen.“ Ich gebe mich geschlagen und scheuche Ratz, der noch immer mit offenem Mäulchen bzw. Schnäuzchen im Käfig hockt, mit den Worten „Kannst jetzt wieder zu machen“ dort weg. In der Küche trifft er auf Rabatz und beide finden reichlich Nahrung, sodass sie nicht mehr streiten müssen.

Dienstag, 12. November 2013

Auto fahren mit offenen Schnürsenkeln?

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, welch unsäglich unzulänglichen - um nicht zu sagen behinderten - Eindruck ich heute mal wieder bei meinen Zeitgenossen, zumindest einem von ihnen, hinterlassen habe?“ „Ja“, antworten Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen, springen mir auf die Schulter, von dort in meinen Schoß und schauen mich neugierig an. „Warst du nicht auf diesem… Na, wie heißt das gleich?... Auf diesem Info-Dingens von diesen Werkhallen auf dem 3. oder 4. – die Nummer ist mir entfallen – Arbeitsmarkt?“, erkundigt sich Ratz. „Ja, ja“, sage ich schmunzelnd, „Infotag der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Berlin e.V. Aber woher weißt du das nun schon wieder? Hatten wir darüber gesprochen?“ „Der zerknüllte Veranstaltungsflyer lag zum Nestbau im Käfig“, erklärt Rabatz anstelle von Ratz. „Schlief sich übrigens sehr bequem darauf.“ „Aha“, grummele ich vor mich hin, „nichts geht über Leseratten.“ „Dennoch ist unklar“, philosophiert Ratz, „warum du dort behindert wirktest.“ „Tja, warum?“, spreche ich meine Gedanken laut aus. „Vielleicht färbt der Habitus meiner Klienten auf mich ab. Jedenfalls hatte ich mir am Stand der Lankwitzer Werkstätten gerade den Flyer einer Fahrschule speziell für Menschen mit Behinderung gegriffen und las mir mit dem Flyer in der Hand ein Riesenplakat an der Wand durch, auf dem erläutert wurde, warum die Lankwitzer Werkstätten demnächst L-Werk heißen werden, als mich der Fahrschul-Mensch ansprach und fragte, ob ich zu ihm in die Fahrschule wolle.“ „Ich vermute eher“, empört sich Ratz, „dass nicht der Habitus deiner Klienten auf dich übergesprungen ist, sondern die Werkstattbesucher die Intelligenz dieses Fahrschul-Typen zermürben!“ „Das ist eine ziemlich arrogant formulierte Meinung“, kritisiere ich Ratz. „Aber eine ehrliche und berechtigte“, nimmt Rabatz seinen Kumpel in Schutz. „Nun ja“, entgegne ich, „vielleicht lag es ja aber doch zumindest ein wenig auch an mir. In der Vorhalle war mir nämlich ein Schnürsenkel aufgegangen und aus Unlust, ihn wieder zuzubinden, hatte ich seine beiden Enden links und rechts am Fuß vorbei seitlich in den Schuh geschoben. Vielleicht hat der Fahrlehrer gedacht, ich kann keine Schleifen binden und will trotz Ungeschicklichkeit Auto fahren.“ „Stimmt beides nicht!“, quietscht Rabatz übermütig und muss sich vor Lachen den Bauch halten. Ratz indes schimpft: „Ungeschickt ist der! Geschickt formuliert hätte er gefragt, ob sie sich für seine Fahrschule interessiert, nicht aber, ob sie zu ihm dorthin will.“ „Das stimmt allerdings“, gebe ich ihm Recht. Ratz fühlt sich geschmeichelt und kommt kurz kuscheln, findet dann aber schnell zu seiner provozierenden Art zurück: „Was hast du diesem L-Werk-Fahrlehrer eigentlich auf seine Frage nach deinem Interesse an seinem Unterricht geantwortet?“ „Nein, danke“, erwidere ich. „Was sonst?“ „Das war den Umständen entsprechend entschieden zu höflich“, beendet Ratz das Gespräch, nimmt Rabatz am Vorderpfötchen und beide hüpfen in Richtung Küche davon.

Mittwoch, 6. November 2013

Zwei Erfindungen rund ums Buch

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was ich heute erfunden habe?“ „Du hast mal wieder etwas erfunden?“, täuschen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen erstauntes Interesse vor. „Ja“, antworte ich, „zwar nicht insofern erfunden, als dass ich es schon konstruiert, gebastelt, programmiert oder was auch immer und zum Patent angemeldet hätte, vielmehr handelt es sich um Überlegungen, aber die eine halte ich zumindest für originell und die andere sogar für sinnvoll.“ „Aha“, grummelt Ratz mit leicht ironischem Unterton und begibt sich in die Küche, wo es kurz darauf im Brotkasten poltert. „Erzähle mal, was du erfunden hast! Zuerst das Sinnvolle“, fordert Rabatz mich auf. „Eine Leselampe für unterwegs, mit der man abends auch an etwas entlegeneren und somit nicht in städtischer Lichterflut ersäuften, also dunklen Orten, beispielsweise irgendwelchen Haltestellen nicht oft verkehrender Busse, lesen kann“, sage ich. „Manchmal täte sogar im Bus eine Lampe not. Heute musste ich schienenersatzverkehrbedingt mit einem Bus fahren, dessen Fahrgastteil nur während des Ein- und Aussteigens an den Haltestellen beleuchtet wurde, während der Fahrt brannte lediglich in der Fahrerkabine Licht.“ „Du brauchst eine Taschenlampe“, schlussfolgert Rabatz. „Fast“, erwidere ich, „konkret ein Lämpchen, das man am Buchdeckel festklemmen und auf genau die Stelle im Text richten kann, die man gerade liest.“ „Batterie- bzw. akkubetriebene mobile Buchleuchten mit beweglichem Lampenkopf und Befestigungsklipp“, tönt Ratz‘ Stimme aus der Küche, „gibt es schon.“ Daraufhin bin ich sprachlos, Rabatz ebenso, nur sein langanhaltendes Hochgeschwindigkeits-Kratzen mit der Hinterpfote am Ohr – Übersprungshandlung – verhindert die vollkommene Stille, bis Ratz‘ Kopf im Türrahmen über der Schwelle auftaucht und er verkündet: „Steht in der Thalia-Werbung, hast du uns vorgestern geschreddert in den Käfig geschmissen, kannst du nachgucken.“ „Ach, nee, lass nur“, finde ich meine Worte wieder, „keine Lust, Buchladen-Werbung zu puzzlen. Ich glaube dir.“ „Und was ist mit Erfindung Nummer 2?“, fragt Ratz sogleich. Mir wird ganz mulmig und ich stottere: „Hoffentlich gibt es das nicht auch schon, ohne dass ich davon weiß: Bücher mit so vielen Lesebändchen wie Seiten.“ Zwei Rattenböcke erstarren in Reglosigkeit und schauen mich absolut entgeistert an. „Gibt es wahrscheinlich noch nicht. Jedenfalls habe ich noch nichts davon gehört oder gelesen“, beendet Ratz das erneute Schweigen irgendwann. „Ich auch nicht“, schließt Rabatz sich ihm an und fügt hinzu: „Braucht wahrscheinlich auch keiner.“ „Doch, doch, ich schon“, entgegne ich, „ich benutze Lesebändchen nicht, um die Seite zu markieren, an der ich die Lektüre unterbreche. In meinen Büchern liegen die Lesebändchen zwischen den Seiten, die ich leicht wiederfinden will, weil sie mir entweder besonders gut gefallen oder ich dort beim ersten Lesen etwas nicht verstanden habe oder ich später Passagen mit anderen Texten vergleichen oder herausschreiben will…“ „Und das ist auf allen Buchseiten der Fall?“, spottet Ratz, „Warum willst du Bücher mit so vielen Lesebändchen wie Seiten?“ „Natürlich sind nicht in jedem Buch alle Seiten eine besondere Hervorhebung oder Markierung wert“, lenke ich ein, „aber theoretisch besteht doch die Möglichkeit.“ – „Selbst dann bräuchtest du nur halb so viele Lesebändchen wie Seiten, zwischen zwei Seiten liegt jeweils nur eines.“ – „Und wenn ich beide Seiten markieren will?“ – „Dann legst du ein Bändchen dazwischen und steckst einen Zettel dazu mit einer 2 darauf.“ – „Der Zettel kann herausfallen.“ Rabatz mischt sich stirnrunzelnd ins Gespräch: „Hefte doch einfach, bevor du das Buch ins Regal stellst, einen Klebezettel auf dessen Buchrücken: Noch einmal lesen!“ Betretenes Schweigen meinerseits. Ratz zieht Rabatz beiseite und raunt ihm zwar leise, aber doch so, dass ich es hören kann, ins Ohr: „Das hättest du jetzt nicht sagen dürfen. Als nächstes erfindet sie Klebezettel.“ Beide lachen und stecken mich noch schnell damit an, bevor sie in die Küche und dort auf Nahrungssuche gehen.

Sonntag, 3. November 2013

Fragwürdige Anti-Ratten-Werbung

„Wieso schaltest du in deinem Blog Werbung für Rattengift, Rattenköder, Rattenfallen…?!“, schimpft Rabatz, der aufgeregt neben Ratz vorm Bildschirm sitzt und mit ihm liest, was ich so über unser Familienleben ausplaudere. „Ich schalte die Rattentötungswerbung nicht“, versuche ich zu beschwichtigen, „jedenfalls nicht direkt. Ich habe lediglich AdWords zugestimmt und die Werbung von Google basiert auf Keywords. Es erscheinen Anzeigen von Anbietern, größtenteils Gewerbetreibenden, deren Suchbegriffe von mir häufig verwendete Wörter sind.“ „Du schreibst doch aber gar nicht über Rattengift, Rattenköder, Rattenfallen…“, mischt sich Ratz irritiert ins Gespräch. „Nein, aber über Ratten“, sage ich. „Hier muss Werbung hin für liebe Ratten, kluge Ratten, tröstende Ratten, hungrige Ratten…“ „Ja, der ewige Hunger!“, falle ich Rabatz ins Wort, „Küchenmöbelwerbung hatten wir auch schon, weil so oft von unserer Küche die Rede ist.“ „Arrrgh!“, schreien Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen, „Nicht Küchenmöbel! KÄSE!“ „Hm“, grummele ich und Ratz sinniert: „Du hast also AdWords zugestimmt… Lässt sich das nicht wieder wegstimmen? Oder kriegst du Geld dafür, dass auf dem Blog Werbung erscheinen darf?“ - „Ich bekomme dafür Geld.“ - „Viel?“ - „Nein.“ Schweigen. „Und warum“, forscht Rabatz nach einer Weile weiter, „haben wir hier keine Werbung, die auf Blogs anderer Rattenliebhaber führt?“ „Weil Rattenblogger nicht in Werbeanzeigen investieren“, erkläre ich. „Mist!“, mault er. „Aber Werbung für das online-Spiel Die Ratten hat Google schon mehrmals geschaltet, beruhigt dich das?“, frage ich. „Etwas“, flüstert er und kommt kuscheln.

(Ent)gleitende Sicht

„Sage mal“, fordert Rabatz mich auf, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle, den Käfig öffne, meinen Computer hochfahre, zwei von drei Brillen – Nr. 3 habe ich auf der Nase – auspacke und auf den Tisch lege, „hattest du nicht kürzlich erst gesagt, dir eine Gleitsichtbrille verschreiben lassen zu wollen, damit du nicht länger mit zwei Brillen hantieren musst, weil dich das ständige Auf und Ab, also das Wechseln der Brille vor und nach jeder Beschäftigung mit irgendwelchen Fitzelchen im Nahbereich, so fürchterlich nervt? Stattdessen hast du nunmehr drei Brillen, zwischen denen du fortwährend wechselst?“ „Nicht stattdessen, sondern weil“, antworte ich mürrisch. „Hä?“, fragen mich die beiden Rattenmänner wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Eine dieser drei Brillen ist die neue mit Gleitsicht, mit der allerdings, was ich sehen will, weitestgehend aus meiner Sicht gleitet“, erkläre ich. Ratz und Rabatz unterbrechen mich – verständlicherweise – mit einem erneuten „Hä“. „Also“, setze ich meine Ausführung fort, „in den Worten der Optikerin klingt das ungefähr so: Mit der Gleitsichtbrille muss ich völlig neu sehen lernen, was bis zu ½ Jahr dauern kann. Ich soll mit wenigen Minuten täglich anfangen und die Dosis kontinuierlich steigern.“ Rabatz springt übermütig in Richtung Küche davon und landet – dem Geräusch nach zu urteilen – im Abwaschberg. „Siehst du mich?“, ruft er. „Nein!“, schreie ich zurück, „Erstens ist eine Wand zwischen uns und zweitens habe ich gerade die falsche Brille auf. Aber ich kann dich gut hören.“

Samstag, 26. Oktober 2013

Problembeladene problematische Problembündel

Entgegen sonstiger Gewohnheit komme ich nichts sagend (getrennt geschrieben, also nicht nichtssagend) nach Hause, stelle meinen Rucksack neben das Fahrrad, vergesse, die Ratten aus dem Käfig zu lassen, setze Teewasser auf, stelle mit Erleichterung fest, dass das Telefon nicht blinkt, ich also niemanden zurückrufen muss, und stöhne dennoch, als ich den Rechner hochfahre und den Ordner Dokumentationen öffne… Erst dann werde ich gewahr, dass hinter mir die Rattenböcke mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Kraft verZWEIfelt – zu ZWEIt - am Käfig rütteln und ihren Namen alle Ehre, also Ra(ba)tz machen. „Lass uns raus, lass uns raus, sonst rebellieren wir“, rufen sie wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Was soll das denn?“, frage ich, „Ihr adaptiert neuerdings Märchen?“ „Was anderes als das, was du uns zum Lesen hinlegst, können wir schließlich nicht lesen“, mault Ratz und zeigt auf die neben dem Käfig aufgeschlagen liegende Sammlung der Brüder Grimm. „Sonst studiert ihr immer die Zeitungsschnipsel, die ich euch mit der Streu in den Käfig schmeiße“, sage ich. „Die langweilen diesmal“, klagt Rabatz. „Was ist es denn?“, erkundige ich mich. „Och, irgendein Lifestyle-Mist aus dem Berlin-Teil oder so.“ „Hm“, halte ich dagegen. „Lebensstil… Muss nicht zwingend langweilig sein. Ich werde täglich mit den verschiedensten Lebensstilen konfrontiert, die wenigsten davon ähneln auch nur im Ansatz meinem, aber gerade das macht sie interessant.“ „Das kannst du aber nicht vergleichen“, merkt Ratz an, „Du hantierst im Leben derer, die längst ins Abseits katapultiert, die krank, behindert oder von Behinderung bedroht sind, die zusammen mit Angehörigen und – so sie noch welche haben – Freunden aus dem Abseits heraus darum kämpfen, nicht nur auch ein wenig am Leben teilnehmen, sondern obendrein Freude daran haben zu dürfen…“ Er hält kurz inne, wahrscheinlich deshalb, weil ich ihn entgeistert anschaue, und fragt kleinlaut: „Habe ich dich nicht richtig wiedergegeben?“ „Doch, doch“, beeile ich mich zu erwidern, „nur habe ich nie geahnt, einen derart aufmerksamen Zuhörer in dir zu haben.“ „Ja, ja, du unterschätzt mich“, fährt er fort, „aber zurück zum Thema. Die Lebensstile derer im Abseits darfst du mitnichten mit dem vergleichen, was auf den Lifestyle-Seiten der Zeitungen steht.“ „Du hast Recht“, falle ich ihm ins Wort, „Lifestyle beinhaltet nicht Leben, sondern stylisches Leben. Ich stelle ihn mir anstrengend vor, diesen sinnlosen Kampf, cooler, geiler, krasser, abgefahrener, hipper… als alle anderen zu sein. Und langweilig.“ „Sage ich doch“, triumphiert Rabatz, „langweilg.“ „Allerdings“, gebe ich zu bedenken, „glaube ich, dass Menschen, die in ihrem endlos scheinenden Kampf – David gegen Goliath, Mensch gegen (Eingliederungshilfe bewilligende bzw. ablehnende und Antragsteller bevormundende) Behörde - so problembeladen sind, dass sie davon zuweilen tatsächlich auch selbst problematisch werden, also wahrhaftig problembeladene problematische Problembündel sind, sich – zumindest manchmal – nichts sehnlicher als eine Portion Langeweile wünschen.“ „Jetzt verwechselst du Langeweile mit Freizeit“, kontert Ratz. „Ja“, stimme ich ihm nach kurzem Nachdenken zu. „Und warum“, so Rabatz, „hast du dich vorhin stöhnend auf deinen Schreibtischstuhl fallen und uns unnütz lange im Käfig schmachten lassen? Du hast doch genügend Freizeit.“ „Nun ja“, gestehe ich, „ich habe mehr Freizeit als die meisten derer, in deren Leben ich mich erwerbstätigerweise einmische, aber ein problembeladenes problematisches Problembündel bin ich leider irgendwie auch.“ „Findest du? Ist mir noch nie aufgefallen“, säuselt Rabatz nachdenklich. „Das liegt daran, dass du eine Ratte bist“, sage ich. Darauf er: „Ist das jetzt eine Beleidigung?“ Dann wieder ich: „Nein.“ „Na, man merkt das aber doch schon, dass du nicht so 100%ig normal bist. Auch als Ratte“, wispert Ratz und fügt einschränkend hinzu, „zumindest manchmal.“ „Irgendwie sehe ich überall nur noch Probleme. Nichts als Probleme“, ächze ich, „zum Beispiel hier! Seht mal, wie dreckig es hier ist, alles voller Dreck!“ Rabatz wuselt auf dem Teppich herum und ruft übermütig: „Dreck? Wo? Wo? Wo?“ Ich zeige missmutig schweigend auf verschiedenstes undefinierbares Körniges um mich herum, woraufhin Rabatz piepst: „Brot- und Nusskrümel! Lecker! Lecker! Lecker!“, von einem Stückchen zum nächsten springt und freudig weitere von mir als solche bezeichnete Probleme sucht. „Leider lassen sich nicht alle Probleme so einfach aufessen“, prustet es aus mir heraus, „und täten sie es doch, würden selbst die geübtesten Esser mit den elastischsten Mägen platzen, denn die Probleme sind zu viele und zu groß.“ „Aber Pseudo-Probleme lassen sich als solche enttarnen“, argumentiert Rabatz. Recht hat er! Ratz, der Nahrungsstücke bevorzugt, die größer sind als Krümel, begibt sich unterdessen in die Küche. Ich beschließe, dass die heutigen Klienten-Dokumentationen, derentwegen ich den Computer hochgefahren habe, auch ein Viertelstündchen später geschrieben werden können, und folge ihm dorthin, wo ich dann erneut Teewasser aufsetze, denn das Gerät schaltet sich ab, sobald das Wasser in ihm siedet, aber nach der Abkühlung auf lauwarm nicht automatisch wieder ein. (Und auch das ist kein wirkliches Problem, sondern sinnvoll. Wie oft würde sonst, wann immer ich vergesse, dass ich ein Heißgetränk hatte zubereiten wollen, Wasser stundenlang im Wechsel zum Sieden gebracht und wieder abkühlen, zum Sieden gebracht und wieder abkühlen…) „Es gibt aber leider auch Probleme, die sich als Giganten vor den ohnehin schon problembeladenen problematischen Problembündeln auftürmen, ihnen die Sicht versperren, sie am Weitergehen hindern, zur Handlungsunfähigkeit verdammen und sich nicht als Hirngespinste erweisen…“, murmele ich vor mich hin. „Ach was“, plappert Rabatz, „dazu hat Gott, der Schöpfer, die Nagetiere geschöpft. Wir raspeln mit unseren Raspelzähnchen alles klein.“

Bewegungsunfähig satt

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffnen will, „wollt…“ Weiter komme ich vor Verblüffung erst einmal nicht, denn ich sehe Rabatz alle Viere von sich gestreckt auf dem Küchentisch neben einer von Rattenzähnen sorgfältig aufgenagten Schokoladenschachtel liegen, deren ehemaliger Inhalt fast vollständig vertilgt ist. Er macht einen sehr satten, aber irgendwie bauchschmerzigen Eindruck auf mich. Als ich meine Sprache wiederfinde, erkundige ich mich: „Wie bist du aus dem Käfig gelangt?“ „Du hattest vergessen, ihn zu schließen“, versucht er, mir glaubhaft zu machen. Ich glaube ihm jedoch nicht, sondern gehe zum Käfig, aus dessen geöffneter Tür Ratz schaut und den Kopf schüttelt. „Ratz“, forsche ich nach, „habe ich vergessen, den Käfig zu schließen?“ Ratz schüttelt weiterhin den Kopf. Ich prüfe den Verschluss, biege den Verschluss-Nippel weiter nach unten, hole Rabatz, der viel zu vollgefressen ist, um mir wegzulaufen, und stecke ihn mit den unpädagogischsten aller unpädagogischen Worte „Das hast du nun davon!“ in den Käfig zurück, bevor ich den schließe und darauf achte, dass der Verschluss fest einrastet. „Du erinnerst mich an das Opossum, das in eine Bäckerei eingebrochen ist“, sage ich mit kaum verhohlener Schadenfreude, mache mich aber dennoch sogleich daran, Kamillentee zu kochen. Man kann das arme Tier schließlich nicht derart darben lassen!

Sattes diebisches Opossum
Bildquelle: Facebook

„Opossum“, stöhnt Rabatz leise, „ich bin doch kein Opossum.“ „Nein“, schimpfe ich, „du bist ein Dieb!“ Rabatz drückt seinen Kopf mit dem Mäulchen bzw. Schnäuzchen gegen den Käfigboden, legt die Vorderpfötchen auf seine Ohren, schließt die Äuglein und will vorübergehend nichts mehr von mir wissen.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Zettelstapel

Stöhnend betrachte ich die Erinnerungs- und Denke-daran-Zettel auf meinem Schreibtisch und weiß nicht, womit beginnen. Das reinste Durcheinander! Wichtig sind sie alle, sonst lägen sie nicht hier, Unwichtiges bzw. bereits Erledigtes pflege ich wegzuschmeißen bzw. zu schreddern und den Ratten zum Nestbau in den Käfig zu schütten. Ich nehme wahllos einen Zettel, dann einen zweiten und stecke ihn darunter, dann einen dritten und schiebe ihn dazwischen, dann einen vierten und lege ihn ganz nach oben… Rabatz und Ratz hocken nebeneinander nahe der Tischkante, schauen mir skeptisch zu und fragen dann wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen: „Was machst denn du da?“ „Ich sortiere meine Zettel“, erkläre ich. „Willst du nicht lieber erledigen, was auf den Zetteln steht, als dich mit den Zetteln selbst zu beschäftigen?“, fragt Ratz. „Du weißt, dass ich deine altklugen Ratschläge nicht leiden kann?“, erwidere ich gereizt. „Du weißt, dass ich deine mich betreffenden kritischen Bemerkungen nicht leiden kann?“, kontert er schnippisch. „Streitet nicht!“, mischt sich Rabatz ein und fragt mich: „Sortierst du nach Größe oder nach Gewicht?“ „Weder noch“, lache ich, „nach Priorität.“ „Wonach?“ „Nach Wichtigkeit.“ „Ach so. Sag das doch gleich.“ „Das Wichtige liegt oben, das Wichtigste davon zualleroberst, nach unten nimmt die Wichtigkeit ab.“ „Lass mal sehen“, sagen Ratz und Rabatz gleichzeitig und kommen näher, um die Stapelform annehmenden Zettel zu betrachten. „Käfig putzen“, lesen sie und legen fest: „Wichtig, nach oben.“ Als nächstes: „Dokumentationen schreiben - Was ist denn das?“ „Ich muss aufschreiben und abrechnen, was ich wann mit welchem Klienten bzw. welcher Klientin gemacht habe, sonst bekomme ich kein Geld.“ – „Oh! Kein Geld ist blöd! Sehr wichtig, ganz nach oben.“ – „Fenster putzen.“ – „Unwichtig, nach unten.“ – „E-Mails lesen und beantworten – ist das wichtig?“ – „Weiß ich nicht. Ich habe sie ja noch nicht gelesen.“ – „Hm, kommt in die Mitte.“ – „Nee, lieber so ein bisschen oberhalb der Mitte.“ – „Herumliegende CDs einsortieren.“ – „Das ist unnütz. Wenn du sie das nächste Mal hören willst, musst du sie ohnehin wieder rausnehmen.“ – „Diesem Argument folgend müsste man niemals irgendetwas aufräumen.“ – „Also was nun? Unter oder über Fenster-Putzen?“ – „Über.“ - „Überweisungen vornehmen.“ – „Das eilt nicht, sonst haben wir wieder nur noch so wenig Geld.“ – „Doch, das eilt, sonst erheben die Absender der Rechnungen Verzugsgebühren. Damit wir trotzdem genug Geld haben, muss ich ja die Dokumentationen schreiben.“ – „Also wohin nun?“ – „Na, so als vierten Zettel von oben.“ – „Spinnweben aus den Zimmerecken saugen.“ – „Vollkommen unwichtig! Wird geschreddert!“ – „Nein! Bisschen unwichtig, aber nicht vollkommen. Der Handwerker, der die Gastherme überprüfen kommt, nörgelt jedes Mal, wenn Spinnweben von oben in die Therme hängen.“ – „Der war doch gerade erst da.“ – „Kommt aber wieder.“ – „Mist!“ … Ich stoße die übereinander liegenden Zettel zurecht, damit der Stapel ordentlich aussieht, während Ratz und Rabatz scheinbar ziellos auf dem Tisch umherlaufen. „Sucht ihr noch etwas?“, frage ich. „Ja“, und in dem Moment fischt Rabatz einen versteckten Zettel unter der Postablage hervor: „Neue Notizzettel zuschneiden.“ Unzufrieden mit dem Inhalt schiebt er mir den Zettel zu. „Du hast dir keine einzige Erinnerung an unsere Fütterung geschrieben“, mault er. „Brauche ich nicht“, tröste ich ihn, „an die denke ich ohne Zettel. Außerdem findet ihr den Weg in die Küche allein.“ „Ja“, stimmt er mir zu, als er Ratz folgend schon auf dem Weg ist, „aber so ein Zettel würde doch eine wohlige Portion Wichtigkeit zum Ausdruck bringen.“ Ich greife sogleich nach einem noch leeren Zettel, schreibe „Ratten füttern“ darauf und lege ihn zualleroberst auf den Stapel.

Stoßgebet

„Na, du Energiebündel“, frage ich Rabatz, der wie wild und ohne ersichtlichen Grund zwischen diversen Zetteln mit überwiegend wichtigen Notizen – unwichtige pflege ich wegzuschmeißen – auf meinem Schreibtisch herumwuselt und alles durcheinander wirbelt, „was soll das Chaos hier?“ „Das frage ich mich auch“, antwortet er, „was soll diese Zettelei?“ „Ich schreibe mir immer alles auf, woran ich denken muss und was ich mir merken will, damit ich es nicht vergesse“, antworte ich. „Immer? Alles?“, fragt Rabatz nach. „Nein“, gebe ich klein bei, „nur meistens das Meiste.“ Ratz gesellt sich zu uns und hilft Rabatz dabei, das Unterste nach oben zu kehren. Plötzlich hält er inne, huscht mit seinen Äuglein die Zeilen auf einem der Zettel entlang, beißt hinein und zieht ihn zu mir: „Was steht denn da?“ „God, grant me the serenity to accept the things I cannot change, courage to change the things I can, and wisdom to know the difference”, lese ich vor. „Hä?”, fragen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Ja“, gestehe ich, „meine englische Aussprache lässt zu wünschen übrig.“ „Sag es deutsch“, erlaubt mir Rabatz. „Rette, was du für rettbar hältst, und lass den Rest entspannt den Bach runter gehen“, sage ich. Ratz schaut mich entsetzt an: „Das ist aber sehr frei übersetzt, oder?“ „Nein“, widerspreche ich, „sehr nicht, nur etwas.“

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Ziviler Ungehorsam gegen rechts

„Wonach suchst denn du?“, fragt mich Rabatz, als er neben den Laptop auf die Schreibtischplatte springt. Ich erschrecke ein wenig, weil ich mich nicht erinnern kann, den Käfig geöffnet zu haben. Er errät meine Gedanken und kommt meiner Frage zuvor: „Eine der Käfigtüren war nicht fest eingerastet. Ich wohne nunmehr seit ¾ Jahren bei dir und weiß, wie die Türverschlüsse funktionieren.“ „Ich mag Tiere, die schlau sind“, antworte ich, kraule seinen Nacken und sogleich gesellt sich auf der Suche nach Streicheleinheiten auch Ratz zu uns: „Und was suchst du nun?“ „Ich suche die Regelung, dass man in Briefen und E-Mails die Anredepronomen Du und Ihr nebst ihren deklinierten Formen wieder groß schreibt. Ich werde in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen und will die amtliche Bestätigung.“ „Och“, knurrt Ratz, „ständig neue formale Regeln für inhaltlich Gleichbleibendes.“ „Knurr du doch nicht“, murre ich, „ich bin’s doch, die schreiben muss.“ „Ich knurre, wann ich will“, mault er, „du bist immer so schlecht gelaunt, wenn du dich mit Dingen beschäftigst, die dich nerven.“ „Komisch“, sage ich mit leicht ironischem Unterton. Ratz überlegt kurz und gibt dann zu Bedenken: „Bestimmt verfügen eure Oberen nur deshalb ständig neue Formalien, damit ihr keine Zeit habt, selbstbestimmtes Leben zu organisieren. Sie halten euch auf diese Weise von zivilem Ungehorsam ab.“ „Du meinst, indem sie uns beschäftigen, sorgen sie dafür, dass wir das nicht mit ihnen tun? Nein“, gebe ich ihm Unrecht, „hinter dem Rechtschreib-Wirrwarr verbirgt sich dickes, fettes kommerzielles Interesse. Die Menschen sollen unentwegt neue Wörterbücher kaufen.“ „Vielleicht habt ihr ja beide Recht“, sagt Rabatz nachdenklich. „Ja, vielleicht“, nehme ich beider Gedanken auf und setze die Überlegung kurz darauf fort: „Die Vorgehensweise, Menschen, von denen man nicht beschäftigt werden will, zu beschäftigen, scheint jedenfalls geeignet. Gerade erst las ich*, dass die AfD zur Zeit mit Aufnahmeanträgen ehemaliger Mitglieder der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit beschäftigt ist...“ „Du bist doch hoffentlich nicht…“, schreit Ratz. „Nein“, besänftige ich ihn, „weder in irgendeiner Partei noch rechts noch populistisch… Aber wenn alle Linken, die keiner Partei angehören, Aufnahmeanträge an die AfD schicken – selbstverständlich ohne tatsächlichen Aufnahmewunsch – dann haben diese angeblichen Euro-Kritiker, die ihre Euro-Kritik gerne mit dem Hitler-Gruß verbinden, gut zu tun. Wir müssen die beschäftigen mit irgendwelchem Kram, der sinn- und harmlos, aber aufwändig ist, damit sie keine Zeit für die Verbreitung von Hass und Gewalt haben… Und meine Beschäftigung damit, ob die Anredepronomen Du und Ihr groß zu schreiben sind, lässt sich getrost vertagen, denn AfD-Verbrecher duzt man ja nicht.“ „Also das müssen wir jetzt erst einmal schlucken“, nuscheln Ratz und Rabatz leise in ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Wollt ihr etwas Salat und Nüsse dazu?“, frage ich. „Ja!“, rufen beide, springen vom Tisch und in Richtung Küche.

* Link zum Gelesenen

Montag, 7. Oktober 2013

Menschen mit Syndromen

„Was für einen Geruch bringst du denn mit?!“, fragen mich - ihre Näschen rümpfend - Ratz und Rabatz, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne. „Hier stinkt’s.“ „Ja“, gebe ich zu, „ich bin in der Hasenheide in Hinterlassenschaften von Hunden getreten. Einiges davon klebt noch unter meinen Schuhsohlen.“ „Was hast denn du in der Hasenheide zu suchen?“, erkundigt sich Rabatz. „Gesucht habe ich dort gar nichts“, antworte ich, „aber mit einer Klientin die Trampeltiere im Neuköllner Tierpark besucht.“

Trampeltiere im Neuköllner Tierpark

„Womit?“, fragt er. „Nicht womit! Mit wem. Mit einer Klientin“, sage ich. „Welch grauenvolles Wort!“, schimpft Ratz. „Klingt wie Verbrecherin!“ „Ja“, pflichte ich ihm bei, „du hast recht, das Wort ist scheußlich, aber ich weiß kein besseres. Nur eines weiß ich ganz sicher: Klienten sind keine Verbrecher! Menschen, die aufgrund von schwerer Krankheit oder Behinderung auf Hilfe und Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und gesellschaftlichen Teilhabe angewiesen sind, werden von denen, die diese Hilfe und Unterstützung anbieten, so sie nicht die Eltern, sonstige Verwandte, Freunde oder Bekannte sind, also von professionellen Anbietern, Klienten genannt.“ Ratz verdreht die Augen: „Derartig Absurdes können sich wieder nur Menschen ausgedacht haben!“ „Ja“, seufze ich, hole tief Luft und beginne eine längere Ausführung: „Nur weil jemand irgendetwas anders macht oder irgendwie anders aussieht als so genannte normale Menschen oder das eine oder andere nicht genauso kann, darf er nicht diskriminiert werden und das muss sich auch in der Sprache wiederspiegeln. Wann immer von Menschen, die anders sind, die Rede ist, müssen Wörter mit negativem Beigeschmack vermieden werden. An erster Stelle steht das Mensch-Sein. Es ist nicht mehr die Rede von behinderten bzw. schwer kranken Menschen oder gar – noch schlimmer - Behinderten bzw. Kranken in der substantivierten Form, ohne explizit zu erwähnen, dass es Menschen sind. Vielmehr sind es Menschen mit Besonderheiten oder etwas konkreter Menschen mit Behinderungen. So es sich um Menschen mit Behinderungen handelt, die noch im Kindes- oder Jugendalter sind und zur Schule gehen, spricht man von Schülern mit Förderschwerpunkten. Es gibt die Schwerpunkte körperliche und motorische Entwicklung, geistige Entwicklung, Sprache, Lernen, emotionale und seelische Entwicklung…“ „Und das“, fällt mir Ratz ins Wort, „hört sich jetzt irgendwie besser an als behindert?“ „Nö“, antworte ich. „Welcher Art Mensch mit Behinderung ist denn die Klientin, in deren Beisein du in der Hasenheide in hündische Hinterlassenschaften getreten bist? Welche Besonderheit hat sie?“, erkundigt sich Rabatz. „Sie hat das Down-Syndrom“, antworte ich. „Warum spricht man nicht einfach von Menschen mit verschiedenen Syndromen? Die einen haben Prader-Willi-, andere indes Asperger-, Aufmerksamkeits-Defizit-, Rett-, Apert-, Williams-Beuren-, Down- … oder eben Helfer-Syndrom?“, fragt Ratz. „Oh je“, stöhne ich, „jetzt wird es richtig kompliziert, zumal es auch noch Überschneidungen gibt, ein Mensch kann mehrere Syndrome haben. Und manch anderer ist ganz ohne irgendein Syndrom in seinen Möglichkeiten eingeschränkt… Also bevor ich weiter darüber nachdenke, widme ich mich erst einmal der Beseitigung ausgeschiedener Stoffwechselendprodukte, sowohl der hündischen von meinen Schuhsohlen als auch der eurigen aus dem Käfig.“ „Na, dann machen wir dir hier mal Platz“, sagen Ratz und Rabatz wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen und entschwinden in Richtung Küche.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Gentrifizierung anders herum – erst die Bewohner, dann das Quartier

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, welcher für euch und eure Artgenossen existenziell wichtige Prozess heute in Gang gesetzt wurde?“ … Auf meine Frage hin passiert zunächst weiter nichts, als dass zwei Ratten in der Küche verschwinden, auf die Ablage springen, wo das Gemüse liegt, und zu knuspern beginnen. „Ich habe eigentlich etwas mehr Interesse erwartet“, sage ich. Ratz kaut schnell hinunter und erwidert dann leicht verschnupft: „Existenziell wichtig! Pah! Wer hat denn wessen Existenz wo gesichert? Gibt es wieder irgendwelche neuen Startup-Designer-und-Mode-Irgendetwas zwischen Künstler-Cafés, wo vorher Ramschläden und Discounter waren? ... Du bist heute spät! Wir waren in unserer Existenz gefährdet! Das Futter im Käfig ist alle!“ „Hm … ja … also … das tut mir leid“, stammele ich, „aber eigentlich … Ja, du hast recht. Zu Beginn meiner heutigen häuslichen Abwesenheit ging es um Gentrifizierung. Ich habe an einer Führung durch den Wedding teilgenommen, während der Orte aufgesucht wurden, an denen man die derzeitige Verdrängung der angestammten Bevölkerung durch materielle und immaterielle Aufwertung bereits deutlich sehen kann: Am Ansehen des ehemals schlecht angesehenen Quartiers wird wegen seiner innerstädtischen und daher profitablen Lage so lange poliert, bis die nach wie vor schlecht angesehenen Menschen dort wegziehen, aus Kostengründen wegziehen müssen. Aber danach habe ich mich mit Charly und Maja getroffen und bevor sie mich zum Essen eingeladen haben, waren wir …“ „Du hast dich zum Essen einladen lassen“, entrüstet sich Ratz, „und wir hocken hier vor dem leeren Futternapf!“ „Lass sie doch erst einmal ausreden“, beschwichtigt ihn Rabatz, indem er ihm eines seiner Vorderpfötchen in den Nacken legt und mit seinem Mäulchen bzw. Schnäuzchen – ich weiß wirklich nicht, ob das bei Ratten Maul oder Schnauze heißt – sanft an einem Ohr knabbert, und fordert mich mit einem aufmunternden Blick zum Weitersprechen auf. „Danke, Rabatz“, sage ich und fahre fort: „Wir waren am Schäfersee und haben dort die wilden Ratten besucht und gefüttert und …“ „Gefüttert?!“, unterbricht mich Ratz kreischend. Ich schreie zurück: „Oh, Gift und Galle, jetzt halte doch einfach einmal deine Klappe!“ Das ist nun allerdings zu viel des Bösen. Ratz ist beleidigt und schmollt: „Ich habe ein Mäulchen bzw. Schnäuzchen, aber keine Klappe ... Du fütterst also fremde Ratten und uns lässt du darben.“ Ich nehme ihn auf den Arm und streichle ihn und sage: „Ihr bekommt auch Futter. Aber eigentlich will ich doch erzählen, was Maja heute am Schäfersee zum Bleiberecht eurer Artgenossen beigetragen hat. Es waren nämlich auch andere Menschen dort, allerdings nicht wegen der wilden Ratten, sondern den wilden Enten und Schwänen zuliebe. Und als zwei Mädchen fast auf eines der Rattennester getreten wären, hat Maja gewarnt: >>Vorsicht, da leben unsere Ratten!<< Eines der beiden Mädchen schrie sogleich: >>Ih, Ratten!<< Kurz darauf fügte es jedoch nachdenklich hinzu: >>Ich habe noch nie eine Ratte gesehen.<< Ihr könnt euch vorstellen, was Maja getan hat? Sie hat den Mädchen die Ratten gezeigt und ihnen erklärt, wie niedlich und lieb und schlau sie sind und dass sie dasselbe Existenzrecht wie Enten und Schwäne haben. Und ab jetzt werden die Mädchen, wann immer sie kommen, um die Enten und Schwäne zu füttern, auch für die Ratten etwas mitbringen.“ „Das ist schön“, gesteht Ratz und springt von meinem Arm zurück ins Gemüse. Rabatz gesellt sich kopfschüttelnd zu ihm und murmelt vor sich hin: „Wie kann man >>Ih, Ratten!<< schreien, wenn man noch nie zuvor eine gesehen hat?“ „Das verstehe ich auch nicht“, flüstere ich vor mich hin und Ratz fügt hinzu: „Maja hat das Ansehen von Ratten poliert, damit unsere wilden Artgenossen auch noch am Schäfersee leben dürfen, wenn demnächst dort ringsum ebenfalls alles gentrifiziert wird.“ „Ja, ja“, lache ich, „Ratten werden als hipp und total angesagt gelten. Zum Glück fliegt zur Zeit noch alle paar Minuten lärmend und Kerosin ausstoßend ein Flugzeug von oder nach Tegel über den Schäfersee und das wird auch so bleiben, bis der Schönefelder Flughafen seinen Flugbetrieb im anvisierten Umfang aufnimmt. Bevor also Stadtplaner und Quartiersmanager in Kooperation mit Kreativwirtschaftlern, Wohnungsvermietern und –verwaltern mit der Aufwertung des Quartiers am und um den Schäfersee beginnen können, bleibt für die Imagekampagne der Ratten genügend Zeit.“

Foto c/o Maja Wiens

Donnerstag, 26. September 2013

Blinkende Schuhe

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, warum ich so genervt bin?“ „Ja“, antworten beide wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Nein, wollt ihr nicht, jedenfalls nicht alles“, stöhne ich. „Ich erzähle euch nur von dem Nervtöter mit rattigem Unterhaltungscharakter. Den Rest erspare ich euch, weil ich euch nämlich mag und aus diesem Grunde nicht auch nerven will.“ „Das ist sehr sozial von dir“, lobt mich Ratz. Zwei Ratten sitzen auf dem Tisch, spitzen ihre Ohren und schauen mich erwartungsvoll an. „Mich nerven Kinderschuhe, die blinken, sind offenbar gerade hochmodern“, sage ich. „Es ist dunkel, die Kinder selbst sieht man nicht und überall schweben auf und ab hüpfende Blinklichter die Straßen entlang. Horror! Statt einer Entscheidung, ob AN oder AUS, fortwährender Wechsel.“ „Sieht bestimmt lustig aus“, murmelt Rabatz seine Gedanken leise vor sich hin. „Nein“, rege ich mich auf, „genau das tut es nicht! Es nervt!“ Allerdings muss ich sogleich grinsen und spreche unaufgeregt weiter: „Aber ich muss an einen lustigen Ratschlag denken, den meine Supervisorin neulich einer Kollegin gab, die sich in einer schwierigen Situation von einer Kollegin, die sie an sich mag, übervorteilt fühlte und unsicher war, wie sie das Problem am geschicktesten dem Chef schildern kann. Ihr wurde geraten, das gekränkte Kind zu spielen: Alle anderen haben blinkende Schuhe, nur ich nicht, *schluchz*. Der Chef wird auch ihr blinkende Schuhe geben, ganz sicher, denn er ist einer, der sich um Ausgleich und Harmonie bemüht.“ „Nur gut, dass du nicht der Chef bist“, kommentiert Ratz und verdreht seine Augen, als er – dicht gefolgt von Rabatz - schon auf dem Weg in die Küche ist. „Wieso?“, frage ich. „Na du“, so Ratz, „würdest nicht dem traurigen Kind blinkende Schuhe geben, sondern allen anderen, wenn sie nachts schlafen, heimlich die Leuchtdioden aus den Schuhsohlen polken.“ „Hm“, gebe ich zögernd zu, „ja. Zumindest tendiere ich zu derart rigorosem Handeln.“

Sollbruchstellenkonzentrat

„Na, ihr zwei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was ich gekauft habe?“ Und ohne ihre Antwort abzuwarten, ziehe ich mehrere instabil wirkende Teile aus seriös aussehender Verpackung. Rabatz schlüpft sogleich zwischen die Pappen und gibt - seinen Kopf heraussteckend - bekannt: „Guter Karton. Wenn der, den wir momentan im Käfig haben, komplett durchnässt und zernagt sein wird, oder eventuell auch schon etwas früher, möchte ich bitte diesen. Nicht wegwerfen!“ „Gut“, sage ich, „mich interessiert ohnehin mehr das, was darin verpackt war.“ „Was ist das denn?“, erkundigt sich Ratz, während er die ausgepackten silberfarbenen und schwarzen Metall- und Plastikteile, die auf dem Tisch liegen, inspiziert. „Ich weiß auch nicht so genau“, antworte ich. „Auf der Packung steht: durch drei Gelenke und schwenkbaren Lampenschirm individuell einstell- und flexibel einsetzbare Schreibtischleuchte mit Metallreflektor für ermüdungsfreies Arbeiten und Lernen, kippsicher durch möbelschonenden Leuchtenfuß... Aber irgendwie… hatte ich mir den Inhalt anders vorgestellt… so ähnlich wie die Abbildung auf der Verpackung… Wo ist denn die Bastelanleitung?“ Ich suche und finde die Hinweise zur Montage und bestimmungsgemäßen Anwendung und es gelingt mir sogar beim ersten Versuch, eine Schreibtischleuchte zu bauen, die der in der Anleitung ähnelt. Ratz umkreist das gute Stück mehrmals und beäugt es kritisch. „Du“, ermahne ich ihn, „stoße nicht dagegen! Die Gelenke und Gelenkarme sehen nicht so aus, als würden sie einem Umkippen der Lampe standhalten.“ Rabatz, der immer noch in der Verpackung hockt, vermeldet: „Macht nichts, wenn die Lampe nichts taugt, der Karton ist gut.“ „Ich habe nicht 13 Euro für einen Pappkarton bezahlt“, murre ich. „Du hast für dieses klapprige Leucht-Gerippe wie viel bezahlt?! 13 Euro?!“, regt Ratz sich auf. „Na ja, nicht ganz. 12,99 Euro“, will ich beschwichtigen, was mir jedoch nicht gelingt. Ratz tritt in Fatz‘ Fußstapfen. „Du hast für diese notdürftig miteinander verschweißten Sollbruchstellen 13 Euro bezahlt und für uns gibt es immer nur billigsten Nager-Mix…“ „Nein“, unterbreche ich ihn und werde laut, „Nix billiger Nager-Mix! Ihr dürft euch, wann immer ich euch aus dem Käfig lasse, in der Küche bedienen und außerdem waren es nicht 13 Euro, sondern 12,99 Euro. Und die alte Lampe, selbst gebastelt, senkrecht in einen Gipsklumpen gesteckter Kochlöffel und daran eine Lampenfassung befestigt, kippt dauernd um und fällt auf die Tastatur. Und eigentlich hatte ich ja nur Joghurt, Obst und Käse…“ Weiter komme ich nicht… „Käse?“, rufen Rabatz und Ratz gleichzeitig aus, springen vom Tisch auf den Boden und von dort in meinen Rucksack, finden darin, was ihre Mäulchen bzw. Schnäuzchen, Herz-und Bäuchlein begehren, und es kehrt nicht tatsächlich Ruhe, aber doch zumindest vorübergehend Frieden ein: Aus meinem Rucksack schmatzt es, während ich mit mir und dem neu erworbenen Sollbruchstellenkonzentrat – es ist nicht mein erstes und einziges – hadere.

Dienstag, 24. September 2013

Nun sind es nur noch 2

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr raus?“ Zwei Ratten strecken mir ihre Köpfe entgegen, von der dritten sehe ich lediglich den Schwanz, der unter einem Pappkarton hervorlugt. Ratz und Rabatz springen raus, aber nicht wie sonst in die Küche, sondern zu mir auf den Schoß und wieder zurück in den Käfig, zu mir auf den Schoß und wieder zurück in den Käfig… Unmissverständliche Ansage: Guck mal, was passiert ist! Ich hebe also das Käfiggitter ab und dann den Karton hoch, unter dem Fatz liegt – tot.

Fatz - unklar, woran er gestorben ist

Er hatte in den letzten Wochen sehr schnell sehr abgenommen und, obwohl er deshalb separat Futter bekam, an Kraft verloren, dennoch starb er jetzt überraschend. Kein Knurren, Nörgeln, Grummeln mehr. Stille. Schweigend gucken Ratz und Rabatz zu, wie ich ihn zusammen mit den Zeitungsschnipseln und Sägespänen, auf denen er liegt, in eine kleine Pappschachtel bette und hinaustrage. Obwohl der Käfig noch auseinandergenommen ist und ihrem Bewegungsdrang keinen Einhalt gebietet, bleiben beide neben der Stelle, an der Fatz gelegen hat, sitzen.

Sonntag, 22. September 2013

Bundestagswahl

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich vom Wählen nach Hause komme*, keinen Rucksack neben das Fahrrad stelle, weil ich nur mein Personaldokument mitgenommen hatte, ihren Käfig öffne und den Computer hochfahre, „wollt ihr mitlesen?“ „Nö“, knurrt Fatz. „Wir sind Leser, aber keine Mitleser“, witzelt Ratz, als er schon auf dem Weg in die Küche ist. „Ja“, antwortet Rabatz und springt neben den Laptop, „erst mitlesen, dann mitessen… Oh, wir haben Post von Dumbina.“ „Dumbina?“ Fatz horcht auf. „Die kranke Rattenfrau, die wir unlängst zu Besuch hatten“, erklärt Rabatz. „Krank kann ich selber“, stöhnt der tatsächlich kränkliche Fatz und legt sich wieder in den Käfig. „Was schreibt sie denn?“, tönt Ratz aus der Küche. „Lies selber“, rufe ich zurück. Er kommt. Sogar Fatz gesellt sich dann noch zu uns und sie lesen. (Linker Link, bitte anklicken und zum Kommentar unterm Post scrollen!) Aus drei Augenpaaren schaut es mich entsetzt an: „Hoffentlich hast du nicht grün gewählt!“ „Nein. Rot“, versuche ich zu beruhigen. „Was?! Die Steinbrücke?“, echauffiert sich Fatz, in den kurzzeitig das Leben zurückkehrt. „Nein, nicht die Rötlichen, die Roten.“ Scheinbar beruhigt ziehen drei Rattenböcke zum (Mit)Essen in Richtung Küche von dannen.

*Genau, wie es die Partei Die Linke noch bis gestern auf ihren überall verteilten und vielerorts auch einfach nur abgelegten Handzetteln vorschlägt, habe ich es gemacht: AUSSCHLAFEN, FRÜHSTÜCKEN, WÄHLEN. (Ich finde als Formulierung „Partei Die Linke“ konkreter als lediglich „Die Linke“, denn es gibt mehr Linke, als in dieser Partei versammelt sind.)

Freitag, 20. September 2013

Hunger

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was ich habe?“ „Ja“, antworten alle drei im Chor. „Hunger“, sage ich und füge hinzu: „Ich vermute, ihr auch.“ Zustimmung.

Wahlbenachrichtigung mit Kuchen (unfrisch) und Rabatz (frisch... und munter)

Mittwoch, 18. September 2013

Unter Strom

„Na, ihr drei“, sage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wir haben Post. Wollt ihr wissen, was d’rin steht?“ „Ja“, antworten alle drei im Chor. Ich öffne also den Brief von Vattenfall, vier Paar Augen huschen die Zeilen entlang, woraufhin Ratz die seinigen genervt verdreht und sogleich in die Küche verschwindet, wo er sich der Nahrungssuche widmet, und Rabatz mich flehentlich anschaut: „Bitte nicht ausrasten, ja?“ Fatz zieht sich - irgendetwas Unverständliches grummelnd - in den Käfig zurück, den er auffallend gern für sich allein hat. Ich setze mich leise stöhnend an den Schreibtisch, fahre den PC hoch, greife nach meinem Behördenkram-Ordner, studiere die Stromanbieter-Vertragsunterlagen und beginne zu tippen. „Was schreibst denn du?“, erkundigt sich Rabatz, nachdem er neben den Laptop auf die Tischplatte gesprungen ist. „Stör mich jetzt nicht! Lies selber!“, antworte ich (ein wenig) unfreundlich. Und er liest:
Konten xxxxxxxxx850 bzw. xxxxxxxxx398
 Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihr Schreiben vom 15.09.2013, in welchem Sie mir als Vertragsende den 11.09.2013 mitteilen und mich auffordern, ggf. meine neue Anschrift mitzuteilen, damit Sie mir die Schlussrechnung zuschicken können, löst bei mir Verwunderung aus, denn
1. habe ich Ihr Schreiben per Post erhalten, also ist Ihnen meine unveränderte Anschrift bekannt,
2. endete der Vertrag zwischen Ihnen und mir am 31.05.2013 und seit dem 01.06.2013 werde ich von Stromio.de mit Strom beliefert,
3. haben Sie mir die Schlussrechnung am 05.06.2013 bereits geschickt, zu begleichen hatte ich nichts, weil ein Guthaben bestand, von dessen Auszahlung ich jedoch wegen Geringfügigkeit absehe, und
4. stimmt die von Ihnen im o.g. Schreiben angegebene Vertragskontonummer nicht mit der in den Vertragsunterlagen sowie der Schlussrechnung verwendeten überein.
Ich gehe davon aus, dass Ihrer Aufforderung an mich, Ihnen meine Adresse mitzuteilen, ein Irrtum zugrunde liegt.
 Mit freundlichen Grüßen
 Miriam Hartz
„Sehr gut“, lobt mich Rabatz, „du bist nicht ausgerastet! Das machst du wirklich gut!“ Und bevor er sich zu Ratz in die Küche begibt, zwackt er mich noch freundschaftlich in den Unterarm.

Dienstag, 17. September 2013

Schlechte Menschen

„Na, ihr drei“, sage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle, ihren Käfig öffne und mich in den Sessel fallen lasse. Einen Moment lang passiert dann nichts Bemerkenswertes. Ratz verschwindet in der Küche, Rabatz wuselt um meine Füße, Fatz steckt lediglich seinen Kopf aus dem Käfig. Dann springt Rabatz auf meinen Schoß, zupft an meiner Jacke und fragt: „Was ist denn mit dir heute los? Wieso sagst denn du nichts?“ „Ich habe doch >>Na, ihr drei<< gesagt. Reicht das nicht?“, antworte ich gereizt. „Mir reicht’s“, grummelt Fatz. Ratz hat in der Küche irgendetwas Essbares gefunden und mit vollem Mäulchen bzw. Schnäuzchen spricht er nicht. Rabatz schaut mich aus seinen schwarzen Knopfaugen besorgt an und drückt damit so ein Sonst-sagst-du-mehr-Unbehagen aus. Er krabbelt an meiner Jacke hoch und zupft an meinem Ohr, knabbert an meinen Haaren, kratzt mich am Hals und lässt sich sonst noch Allerlei einfallen, bis sich meine Laune etwas bessert. „Den ganzen Tag muss ich mir Geächze, Gejammere, Gejaule, Gestöhne von Menschen um mich herum anhören, die der Meinung sind, dass es ihnen schlecht geht, weil alle anderen Menschen schlecht sind, und zwar zu ihnen. Kein Hans, kein Franz, kein Wie-auch-immer-sie-alle-Heißen nimmt Rücksicht darauf, dass mein Fassungsvermögen begrenzt ist. Im Moment jedenfalls bin ich randvoll. Noch eine Klage und ich laufe über“, sage ich. Kurzes betretenes Schweigen aller Anwesenden, dann Fatz: „Also den ganzen Tag nörgeln dich die Menschen nicht voll, jedenfalls nicht alle, nicht wirklich.“ „Stimmt“, gebe ich ihm nach erneutem Schweigen recht, „wirklich nicht, aber gefühlt.“ „Ja, teurer Freund, du hast sehr recht: Die Welt ist ganz erbärmlich schlecht, jeder Mensch ein Bösewicht. Nur du und ich natürlich nicht“, ertönt Ratz‘ Stimme aus der Küche, wo er in der Altpapiertüte – offenbar zwischen Feuilleton-Seiten – hockt und an irgendwelchen Gemüseresten, woher auch immer er die hat, knuspert. „Soll ich dieses Zitat auf die Menschen, die mir das Leben schwer machen, oder auf mich selbst beziehen?“, frage ich und bekomme von Ratz lediglich ein Schmatzen zur Antwort. Fatz knurrt: „Sowohl als auch“ und Rabatz wispert mir ins Ohr: „Ja, aber auf dich nur so ein bisschen... Ich würde jetzt gerne auch in die Küche… und mal schauen, was Ratz da zum Essen gefunden hat, aber... kann ich dich hier so alleine sitzen lassen?“ „Ja, ja, du kannst“, sage ich lachend. „Lauf nur! Mir geht es schon wieder gut.“

Eine Meise haben

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle, ihren Käfig öffne, den Computer hoch fahre (Nein, hochfahre. Was sollte der bei dem Nachbarn über mir? Und wie sollte er fahren? Weder hat er Räder noch gibt es im Haus Fahrstuhl oder Treppenlift.) und entgegen sonstiger Gewohnheit nicht zuerst den E-Mail-Account öffne, sondern Blogs zu lesen beginne, „wollt ihr eine Meise haben?“ „Nö“, antworten alle drei wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen. „Na gut“, antworte ich, „dann seht sie euch gleich mir nur an“ und zeige ihnen Majas Blog. Drei Ratten hocken vor dem PC, starren gebannt auf den Bildschirm, würden wohl gerne kommentieren, aber ich lasse sie – gemein, wie ich bin – mit ihren Pfötchen nicht auf die Tastatur.

Mittwoch, 11. September 2013

Gedanken über eine Zahnbürste

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, worüber ich mir heute wiederholt sinnlos Gedanken mache?“ „Ja“, antworten alle drei im Chor. „Aber wieso sinnlos und das auch noch wiederholt?“, fragt Rabatz und schaut mich irritiert bis neugierig an, während er in meinen Rucksack krabbelt und diverses Nicht-Essbares hinauswirft. (Vermutlich sucht er nach Essbarem.) „Wiederholt, weil sich die Frage seit mehreren Wochen aufdrängt“, antworte ich, „und sinnlos... also sinnlos ist die verdreckte Zahnbürste im Garten wahrscheinlich gar nicht, nur mir erscheinen meine Gedanken über sie sinnlos, da sie mich ja nicht betrifft.“ „Was macht man denn mit einer Zahnbürste, obendrein einer verdreckten, im Garten?“, ruft Ratz aus der Küche, wo er offenbar Essbares gefunden hat und so laut schmatzt, dass Rabatz aus meinem Rucksack springt und in die Küche eilt. „Eben darüber denke ich nach“, antworte ich. „Also ihr habt Sorgen!“, knurrt Fatz mit leicht ironischem Unterton und begibt sich ausnahmsweise auch aus dem Käfig und macht sich auf den Weg zur Küche. „Und um welchen Garten geht es überhaupt?“ „Einer der jungen Menschen, mit denen und für die ich arbeite, wohnt in einer Einfamilienhaus-Siedlung mit Garten ums Haus.“ „Und da liegen Zahnbürsten vor der Tür?“, fragt Rabatz. „Nein, nicht mehrere, nur eine“, sage ich. „Und die ist dreckig?“, vergewissert er sich. „Ja“, bestätige ich. „Logisch“, grummelt Fatz, „vom Putzen werden die Zähne sauber und die Bürste dreckig.“ „Ja, ja. Schon“, grinse ich „aber du weißt ja nicht, wie dreckig. Es handelt sich um klebrige schwärzlich glänzende Borsten an einer Bürste, an der auch der Griff keine herkömmlich definierbare Farbe mehr hat, und selbst wenn dieses Putzgerät aussähe, wie Zahnbürsten es üblicherweise tun, wäre immer noch unklar, warum es im Garten zwischen den Fahrrädern liegt.“ „Zwischen den Fahrrädern?“, horcht Ratz auf. „Oh, man“, stöhnt er, „Dann ist doch alles klar! Mit dieser Bürste putzt niemand seine eigenen Zähne, sondern jemand die Zähne vom Zahnkranz am Fahrrad.“ Zustimmend-überzeugtes Schweigen meinerseits, während ich drei Ratten beim Auslecken meiner am Morgen nicht abgewaschenen Müsli-Schüssel zusehe und -höre.

Sonntag, 8. September 2013

Wahlwerbung

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was ich heute gesehen habe?“ „Ja“, antworten alle drei im Chor. „Wahlwerbung von REWE.“ „Was ist denn das für eine Partei?“, fragt Rabatz. „Das ist eine Einzelhandelskette“, sage ich. „Die Werbung von denen hatten wir auch schon mal geschreddert im Käfig“, knurrt Fatz missmutig. „Und jetzt treten die zur Bundestagswahl an? Was versprechen die denn?“, wendet sich Rabatz neugierig an mich. „Dosenerbsen der Marke JA auf dem einen Plakat, Tomatenketchup der Marke JA auf dem anderen und niedrige Preise auf beiden.“ „Das ist doch keine Wahlwerbung, das ist langweilige Werbung für Produkte“, nörgelt Fatz genervt. „Fast“, gestehe ich, „aber sie bedient sich der Wahlkampfrhetorik und des Wahlplakatlayouts. Über dem Bild vom Produkt verspricht sie Sparpolitik, unter dem Bild fordert sie neben einem angekreuzten Kästchen: JA wählen!“ Ratz, der ein Stückchen Käse hinunterkauend unter meinem Bett hervorkommt, mischt sich ins Gespräch: „In gewisser Weise ist es dann doch Wahlwerbung. Bestimmt sind SPD und LINKE die Sponsoren. Die einen versprechen mit 8,5 bzw. 10 € pro Stunde Mindestlöhne, mit denen man mindestens nicht stirbt, und die anderen die Preise der Minderwertigkeit.“ Ich beschließe im Stillen, zukünftig mehr Sägespäne und weniger Zeitung in den Käfig zu geben, Fatz und Rabatz verdrehen die Augen. „Ratz, unser Philosoph! Na, wenigstens hungerst du nicht! Wo hattest du eigentlich den Käse her?“ Schweigen seitens des Angesprochenen. „Und außerdem“, fügt Fatz noch hinzu, „sind die Schwarzen wohl kaum besser.“ „Das sind sie definitiv nicht, aber sie versprechen wenigstens keine Besserungen und ersparen den Getäuschten die Enttäuschung“, komme ich Ratz zuvor. „Was ist mit den Grünen?“, fragt Rabatz. „Die sind auch nicht ehrlich, aber inzwischen wählbar“, sage ich. „Deshalb tragen ja jetzt die Piraten mit zur Undurchschaubarkeit bei.“ „Hm. Die Piraten. Sind das die Braunen?“ „Oh, nein!“, schreien Ratz, Fatz und ich entsetzt und wie aus einem Munde. „Die Braunen haben verschiedene Namen und sind alle miteinander indiskutabel, das heißt... diskutieren sollten wir über die schon, sie allerdings nicht wählen.“ Ratz wird nachdenklich. „Aber irgendwie piratig sind die doch“, spricht er seine Gedanken aus. „Sie kapern die Unzufriedenen und ziehen sie auf ihre Seite...“

Ergänzender Kommentar: Dass die gelben Hotel-Lobbyisten im Gespräch nicht vorkommen, ist bestimmt kein Zufall.

Samstag, 7. September 2013

Mehr Geld

„Na, ihr drei“, frage ich, als ich nach Hause komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne, „wollt ihr wissen, was komisch ist?“ „Ja“, antworten alle drei im Chor. „Seit ich den zusätzlichen Auftrag habe, ist es monatlich knapp ½ Tausender mehr auf unserem Konto. Wieso wirkt der sich eigentlich nicht auf unseren Lebensstandard aus?“ „Weil du geizig bist“, knurrt Fatz. „Hm“, murre ich. Rabatz kommt angelaufen, hangelt sich an meiner Kleidung bis ganz nach oben, steckt mir seine Schnurrhaare in die Nase, schmust und kuschelt. Ratz macht einen kurzen Abstecher in die Küche und kommt mit einer Brombeere im Mäulchen bzw. Schnäuzchen zurück, so dass er nicht sprechen, aber nonverbal bestens zum Ausdruck bringen kann: Du investierst in leckeres Essen. „Stimmt“, pflichtet Rabatz ihm bei, springt rasch von meiner Schulter und verschwindet auch mal eben in der Küche, wo kurz darauf polternd eine Sharon-Frucht zu Boden fällt... Irgendwann später stecke ich die beiden Obstsammler in den Käfig zurück zu Fatz, der den nicht verlassen hatte. „Du könntest uns Ratten-Premium für 2,99 € pro 100 Gramm gönnen“, nörgelt er, als ich Trockenfutter nachfülle. „Immer dieser billige Nager-Mix!“ „Woher weißt du, dass es Ratten-Premium gibt?“, erkundige ich mich. „Aus der geschredderten Futterhaus-Werbung, die du uns zum Nestbau in den Käfig geworfen hast“, höre ich ihn grummeln. „Denkst du, wir können nicht puzzlen?“

Freitag, 6. September 2013

Einleitung

Mein Name ist ein falsches Omen, mit dem gemeinen Peter Hartz habe ich nichts gemein. Allerdings lebe ich gemeinsam mit Ratten, die ihren Namen Ratz, Fatz und Rabatz alle Ehre machen. (Wenn sie z.B. meine unbezahlten Rechnungen fressen, dann mit Rabatz und ratzfatz. Denken die, auf diese Weise sparen wir Geld?) Nachdem ihre Vorfahren als Versuchsratten der Bayer Schering Pharma AG längst ausgedient haben, genießen sie nun ihren Lebensabend auch am Morgen. Aber das nur nebenbei. Zur Sache!

Vorab

Eine Danksagung: Ich danke Maja Wiens und ihren Links auf Klings bissige Satiren sowie Marc-Uwe Kling selbst, der mir mit seinen Geschichten über sich und sein Känguru auf die Sprünge ge- und zu meinen über mich und meine Ratten verholfen hat. (Ich nutze ihn lediglich als Inspiration, schreibe nicht ab, dazu sind meine Ratten viel zu anders als sein Känguru und ich bin viel zu anders als er.) Darüber hinaus gilt mein Dank natürlich eben diesen Ratten, die sich geduldig für mein Vorhaben instrumentalisieren lassen, und meinem Leben, das die Geschichten diktiert.