Samstag, 23. Juni 2018

Fell Fadenschein – mehr Sein als Schein

"Guten Morgen", grüßt Gregor und stupst Hinz an. "Guten Morgen", erwidert Hinz. "Gut geschlafen?" "Fabelhaft", antwortet Gregor, reckt und streckt sich. "Und du?" "Naja, geht so", gähnt Hinz. "Klingt nicht sehr fröhlich", konstatiert Gregor und betrachtet seinen Artgenossen. "Was ist mit deinem Fell?", erkundigt er sich sogleich. "Fällt es aus?" "Ach", stöhnt Hinz, "sprich nicht davon. Das ist so, wenn man altert. Faden um Faden fallen die Haare aus, das Fell wird fadenscheinig." "Wem sagst du das?", fällt Gregor in das Gejammere ein, doch Hinz hält dagegen: "Deins sieht doch noch gut aus." "Auch ich bin nicht mehr der Jüngste", klagt Gregor. "Um die Jungen hätte ich mich kümmern müssen, doch habe ich sie verloren." Verzweifelt schlägt er die Vorderpfötchen über seinem Kopf zusammen. "Welche Jungen?", fragt Hinz erschrocken. "Na, meine Brüder, Hektor und Igor. Sie sind im täglichen Kampf ums Überleben spitzen Absätzen ausgewichen und waren plötzlich verschwunden." "Absätzen von Pumps und so? Du musst sie suchen, deine Brüder!", schreit Hinz aufgeregt. "Ja, aber wie? Wo?", schluchzt Gregor ratlos. "Aufmerksam und mit weit offenen Augen. So viel zum Wie", erklärt Hinz, der seine Fassung schnell wiedererlangt hat. "Am besten von Miriams Jackentasche aus und zwar genau dort, wo der Kampf der Damenschuhe gegen deine Brüder stattgefunden hat." "Du meinst, sie kehren zum Ort des Geschehens zurück?", schnieft Gregor. "Auf jeden Fall", versichert Hinz. Und mit den Worten "Wann gehen wir los?" wendet sich Gregor dann unvermittelt an mich. Ich blicke kurz zum Fenster auf und nach draußen, bevor ich verspreche: "Sobald es aufhört zu regnen."

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