Donnerstag, 1. Mai 2014

1. Mai - Tag der Arbeit

"Was machst denn du da?", fragt mich Moritz, als er mich vorm Laptop sitzen und ein fast fertig ausgefülltes Formular anstarren sieht. Ich grummele irgendetwas vor mich hin. "Habe ich nicht verstanden", lautet die Ich-Botschaft, die er mir daraufhin sendet. "Macht nichts", sage ich. "Doch", widerspricht er. Ich seufze. Dann herrscht Schweigen. Jedoch mögen wir es nicht, beherrscht zu werden, also beendet Moritz kurz darauf diese Herrschaft des Schweigens, indem auch er seufzt, dann seufze wieder ich und so geht das noch eine Weile hin und her. Irgendwann haben wir keine Lust mehr zu seufzen und es hilft ja auch niemandem weiter, also erkläre ich: "Ich muss für das Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg, von dem ich seit knapp einem Jahr einen Auftrag habe, einen Profilbogen ausfüllen." Und erneut seufze ich. Die anderen vier Ratten, die sich für unser Gespräch zu interessieren beginnen, springen nacheinander auf den Tisch. Dachs schaut abwechselnd zu mir und zu Ratz, der gewöhnlich, wenn ich es nicht tue, oder aber er anderer Meinung ist als ich, allen alles erklärt, aber diesmal nichts erklärt, jedenfalls nicht direkt, sondern stattdessen drei für die Klärung nicht unbedeutende Fragen stellt: "Profilbogen? Bewerbung? Jetzt?" Ich nicke und seufze noch einmal. Er hakt nach: "Du bekommst zuerst den Auftrag und bewirbst dich dann?" Ich schüttele den Kopf. "Muss das jetzt irgendjemand verstehen?", erkundigt sich nun Max. "Muss nicht", führe ich aus. "Och, nun krieg doch einfach mal deine Zähne auseinander!", fordert Rabatz mich zu mehr Gesprächigkeit auf, ich indes gähne zunächst - das ist auch Mundöffnen mit Zähnezeigen - und füge erst etwas später gereizt hinzu: "Jetzt gebt doch einfach mal Ruhe, lasst mich überlegen, mit welchen Klienten ich mir das Arbeiten grundsätzlich zutraue, und hier eintragen, welche Krankheiten bzw. Behinderungen ich als Betreuungsaufgabe ausschließe!" "Nö, das hat Zeit", nörgeln Dachs und Ratz, "vorher wollen wir von dir noch wissen, wie ihr Menschen euch Arbeit macht." "Ihr wollt was?!", kreische ich. "Ich soll euch mal eben schnell, so fast nebenbei den Ersten Arbeitsmarkt erklären?!" Ich stampfe in die Küche, ziehe einige JW-Seiten mit dem grausamen Titel Kapital & Arbeit aus dem Altpapier, stecke sie ihnen in den Käfig, kehre vor mich hin fluchend "Wie wir Menschen uns Arbeit machen" zurück an den Schreibtisch, sehe auf ihm fünf äußerst erschrockene Ratten hocken und erschrecke sogleich selbst: "Oh, was habe ich getan?! Meine schlechte Laune an euch ausgelassen." Als ein Zeichen der Versöhnung lege ich meine ausgestreckte Hand vor ihnen ab und, oh Wunder, sie nehmen die Entschuldigung an, krabbeln den Arm als Brücke nutzend auf meine Schultern und von dort mir unter den Pullover, wo sie es sich gemütlich machen. (Ratten sind wahrhaftig die besseren Menschen, also ich meine, nicht nachtragend.) Irgendwann taucht Moritz' Mäulchen bzw. Schnäuzchen neben einem meiner Ohren auf und er wispert: "Verrätst du uns nun, warum du dich um einen Auftrag bewerben musst, den du längst hast?" "Nun ja", antworte ich und augenblicklich ragen auch die anderen vier Köpfchen unter meinem Ausschnitt hervor, "ich muss mich nicht nachträglich bewerben, das habe ich vorher getan, sondern einen verloren gegangenen Profilbogen durch einen neuen ersetzen." "Die haben deine Zettel verbummelt?!", empören sich Max und Moritz synchron. "Sieht ganz so aus", bestätige ich. "Erst ist das Amt vom früheren Standort - asbestverseucht - in ein Ausweichgebäude umgezogen und dann gab es im Zuge von Umstrukturierungen auch noch Zuständigkeitswechsel, also das Prinzip, nach dem Klienten und deren Helfer den Mitarbeitern des Amtes zugeordnet sind, wurde geändert, da passiert so manche Unwägbarkeit..." "Und deshalb hast du nun schlechte Laune", mault Moritz. "Na, inzwischen nicht mehr, oder?", entgegne ich halb spöttisch, halb fragend, während ich einen nassen Fleck auf meinem Pullover betrachte, wo unmittelbar zuvor noch eine Ratte gesessen hat. "Haben wir eigentlich heute schon gefrühstückt?" Auf diese Frage erhalte ich ausschließlich nonverbale Reaktion: Fünf Ratten fliegen mehr, als dass sie liefen, in die Küche. Nur Ratz ist nicht mehr gar so schnell.  

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