Mittwoch, 15. Januar 2014

Rattenkinder, Menschenkinder

„Na endlich!“, bringen Ratz und Rabatz ihre Unzufriedenheit mit meiner – ihrer Meinung nach offensichtlich zu langen - häuslichen Abwesenheit zum Ausdruck, als ich komme, meinen Rucksack neben das Fahrrad stelle und ihren Käfig öffne. „Was heißt hier >>na endlich<<?“, frage ich und schiebe sogleich als Rechtfertigung hinterher: „Es ist kurz vor 20:00 Uhr, das ist doch meine übliche Nach-Hause-komm-Zeit.“ „Üblich, wenn du von der Arbeit kommst“, nörgelt Ratz. „Aber jetzt bist du krank und solltest eigentlich jammernd, schniefend und hustend im Bett liegen. Stattdessen? Heute Vormittag warst du nun schon unterwegs…“ „Na sag mal…“, weise ich ihn zurecht. „Erstens gibt es, wie du sehr gut weißt, auch Krankheiten, die man nicht im Bett auskuriert. Zweitens bin ich euch nicht Rechenschaft schuldig.“ „Doch“, nimmt Rabatz seinen Kumpel in Schutz, „so ein bisschen schon.“ Mir verschlägt’s fast die Sprache, aber eben nur fast, also erkläre ich: „Heute Vormittag war ich mit meiner einzigen Lieblingstochter ihr verspätetes Weihnachtsgeschenk kaufen, heute Nachmittag habe ich Dumbi und die vier Kinder von ihr und Rabatz beim Aufschreiber und Maja besucht, am Abend noch etwas für mich gekauft und nun bin ich wieder zu Hause.“ „Du hast etwas für dich gekauft? Und für uns?“, quengelt Ratz. „Für euch nichts“, sage ich. „Ihr habt alles, was Ratten brauchen.“ „Ich habe mich wohl verhört!“, empört sich Ratz. „Ich weiß nicht, ob du dich verhört hast. Was hast du denn gehört?“, erkundige ich mich. „Dass wir alles haben, was Ratten brauchen“, plärrt er. „Also hast du dich nicht verhört“, gebe ich ihm zu verstehen. „Das habe ich wirklich gesagt.“ „Unverschämtheit!“, schimpft er. „Wieso?“, entgegnet Rabatz ganz gelassen. „Ist doch keine Unverschämtheit. Stimmt. Wir haben alles. Oder fehlt etwas?“ Ratz läuft aufgebracht um den Käfig und sucht ganz offensichtlich nach Fehlendem, findet aber nichts, springt in den Käfig, stapft dort noch ein paar Mal auf und ab, bevor er sich schmollend in eine Ecke verzieht und vor sich hin säuselt: „Leckeres Futter fehlt.“ Rabatz nähert sich ihm behutsam, schiebt von dem Getreide-Frucht-Nuss-Müsli der letzten Fütterung, das noch nicht vollständig verzehrt ist, etwas zu ihm hin und flüstert in sein Ohr: „Ist doch lecker.“ „Grmpf“, ist das einzige, was Ratz dazu äußert. Rabatz lässt von Ratz ab, springt zu mir und fragt hyperneugierig: „Was hast du dir gekauft?“ „Schuhe“, antworte ich. „Und deiner einzigen Lieblingstochter?“, wirft er sogleich die nächste Frage hinterher. „Auch Schuhe“, will ich seine Neugier befriedigen, er indes runzelt die Stirn. „Warum ziehst du, um zwei Paar Schuhe zu kaufen, zweimal los, vormittags für deine einzige Lieblingstochter und abends für dich?“, will er wissen. „Kann man nicht zwei Paar Schuhe zusammen kaufen?“ „Tja, das sind so Probleme, die Ratten nicht kennen, die Menschen sich selbst schaffen“, erläutere ich. „In dem Laden, in dem ich die Schuhe für meine einzige Lieblingstochter gekauft habe, gab es die Schuhe, die mir gefallen haben, nicht in meiner Größe. Zum Glück! In dem Laden, in dem ich dann abends Schuhe für mich gekauft habe, wenngleich nicht ganz so gute, habe ich nämlich 2/3 weniger bezahlt.“ „Na, das ist ja wenigstens etwas erfreulich“, grummelt Ratz aus dem Käfig, „obwohl du natürlich eigentlich keine neuen Schuhe brauchst.“ „Doch“, brumme ich zurück, „denn ab morgen wird es laut Wetterbericht nieseln und schneien und meine alten Schuhe sind dahingehend alt, dass sie nicht mehr wasserundurchlässig sind. Außerdem bin ich dessen überdrüssig, mich für jeden Einkauf, so es sich dabei nicht um Rattenfutter handelt, quasi bei dir entschuldigen zu müssen.“ „Und 2/3 weniger Geld“, ergreift Rabatz Partei für mich, „sind sehr lobenswert, denn dann hat Miri noch Geld übrig für ihren einzigen Lieblingssohn. Der soll schließlich auch bedacht werden.“ Ich bin tief berührt. „Da hast du auf jeden Fall recht, Rabatz“, stimme ich mit ihm überein, füge jedoch seufzend hinzu: „Es ist ziemlich schwierig, einem Menschen etwas zu schenken, der sich allermeistens fernab von einem selbst aufhält und keine Postadresse hat, an die sich etwas schicken ließe…“ Betretenes Schweigen beherrscht die Runde, jedoch nur kurz. Ratz springt aus dem Käfig zu Rabatz und mit ihm zusammen in meinen Schoß. Wie aus einem Mäulchen bzw. Schnäuzchen trösten sie: „Er ist fern von dir, aber erstens nur physisch und zweitens nicht immer, sondern lediglich meistens.“ Und Rabatz piepst: „Geht es meinen Kindern eigentlich gut? Du warst doch heute bei ihnen.“ „Ja“, beruhige ich ihn, „sehr gut. Sie sind bestens versorgt und putzmunter.“

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